Der Fliegenfaenger
weil es meine Mam freut. Aber was mein Drecksonkel da gesagt hat, Morrissey, dass ich meiner Mam das Herz gebrochen hätte, das stimmt nicht. Ich weiß zwar, dass ich ihr furchtbar viel Ärger gemacht hab, aber meine Mam sagt inzwischen selber, dass es nicht meine Schuld war. Manche Dinge passieren eben einfach, und so sehr man sich anstrengt, sie zu ändern und alles besser zu machen, es klappt einfach nicht. Wie damals, als ich all meine Freunde verlor. Ich hab mein Bestes versucht, sie zurückzugewinnen. Aber mein Bestes hat eben nicht gereicht.
Es war im Sommer nach der Sache am Kanal, in den langen Sommerferien. Damals war es ganz besonders warm und ich war immer noch elf und hätte eigentlich draußen mit den andern rumtoben sollen: Schwimmen, Fußball, Verstecken, Zelten im Freizeitpark, die Superhelden spielen. Aber stattdessen blieb ich daheim, las all meine Bücher und Comics durch, futterte von morgens bis abends und kriegte Depressionen. Ich wollte eigentlich gar nicht zu Hause oder bei meiner Oma bleiben und mich mit Süßigkeiten, Nudeln, Pizzas und Kuchen voll stopfen. Aber alle Mütter in unserer Siedlung hatten ihren Kindern verboten, mit mir zu spielen.
Nicht mal mehr Geoffrey Weatherby durfte noch mit mir spielen. Und dabei waren seine Eltern doch so hoch moralische Lowtech-Recycling-Naturholz-Menschen, die sich um die Erderwärmung und Nelson Mandela sorgten! Geoffrey Weatherbys Mam war sogar mal im Fernsehen interviewt worden, in der Sendung Richard and Judy , als Anwältin sämtlicher Molche, Kröten und Frösche, die den Failsworth Boulevard nicht mehr ungefährdet überqueren konnten, seit er zu einer Schnellstraße geworden war. Und damals hatte Mrs. Weatherby gesagt, es sei unbedingt erforderlich, dass die Molche, Kröten und Frösche sicher die Straße überqueren könnte, um auf der andern Seite des Boulevards ihre Eier ausbrüten und ihre Babys bekommen zu können, da das ihr traditioneller Laichgrund sei. Mrs.Weatherby erklärte den beiden Interviewern, es sei eine skandalöse Heuchelei, dass sich die Menschen zu ihrer eigenen Sicherheit Begriffe aus der Tierwelt geborgt hätten, wie etwa Katzen augen, um nachts den Straßenverlauf zu erkennen, oder Zebra streifen, um die Straße zu überqueren. Was aber sei mit den armen Zebras und Katzen selbst?, fragte Mrs. Weatherby. Wo könnten diese armen Tiere sicher die Straße überqueren, um in Ruhe ihre Babys zu bekommen?
Richard und Judy warfen sich einen Blick zu. Und Richard machte unbedachterweise einen kleinen Scherz und sagte, er habe in der Nähe des Failsworth Boulevard noch nie ein Zebra gesehen.
Doch wenn es um platt gewalzte Frösche ging, verstand Mrs. Weatherby keinen Spaß. Sie ignorierte Richards und Judys Gekicher und erwiderte, alle Autofahrer, einschließlich Richard und Judy, seien mit schuld am Froschgenozid von Failsworth! An den Händen sämtlicher Autofahrer klebe Froschblut, sagte Mrs. Weatherby. Jetzt verzog Judy angewidert das Gesicht. Man merkte, dass die beiden langsam genug hatten, denn sie wollten zum nächsten Thema übergehen: dem wachsenden Trend bei Automechanikern, sich kosmetischen Operationen zu unterziehen. Doch da unterbrach sie Mrs. Weatherby, drängte sich einfach vor Judys Kamera und appellierte so lange an das Gewissen der Nation, bis sie von einem Wachmann gewaltsam aus dem Studio geführt wurde. Richard und Judy wirkten zwar ziemlich mitgenommen, bezeichneten Mrs. Weatherby dann aber doch als sehr engagierte, sozial denkende Frau mit großem Verantwortungsgefühl.
Und Mrs. Weatherby dachte wirklich sehr sozial. Das war auch der Grund, warum meine Mam nicht verstehen konnte, dass nicht mal mehr Geoffrey Weatherby zu uns kam.
Geoffrey Weatherby war seit der ersten Klasse mein bester Freund gewesen. Wir machten immer alles gemeinsam, zum Beispiel sammelten wir beide Marvel- und DC- Comics. Und als wir acht Jahre alt waren, hatten wir uns in der Comicbörse unsichtbare Tinte gekauft und damit ein geheimes Dokument entworfen, in dem stand, dass wir für immer die besten Freunde bleiben wollten, egal, was passieren würde, sogar, wenn wir mal irgendwann erwachsen wären, sogar, wenn wir mal irgendwann heiraten würden. Dieses Geheimdokument umhüllten wir mit Klarsichtfolie und steckten es in einen Plastikbeutel, damit es völlig wasserdicht war. Dann vergruben wir es an einer geheimen Stelle am Fuß der Eisenbahnbrücke und schworen: Wenn wir es jemals wieder ausgraben würden, könnten wir das nur
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