Der Fliegenfaenger
Und du bist mir nun mal nicht gleichgültig! Deshalb sage ich dir zu deinem eigenen Besten: Du musst den Tatsachen ins Auge sehen! Du kannst so etwas nicht einfach unter den Teppich kehren, Shelagh! Wir reden hier nicht über einen ganz normalen Jungenstreich – Äpfel klauen oder Ladendiebstahl oder so. Es geht hier um etwas sehr Ernstes. Das hat Folgen für die Zukunft, Shelagh!«
Und ich merkte, dass er meine Mam plötzlich eingeschüchtert hatte, denn sie fragte beunruhigt: »Folgen? Was meinst du damit?«
»Shelagh!«, sagte mein Onkel Jason. Er tat jetzt sehr besorgt und brüllte ausnahmsweise nicht rum. »Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, Shelagh, dass es sich hier um ganz normales Verhalten handelt. Fliegen? Wer macht denn so was mit Fliegen? Welches Hirn, Shelagh, welches Hirn denkt sich denn so etwas aus?«
Offenbar fiel meiner Mam dazu nichts mehr ein; es war totenstill. Und jetzt weinte sie wohl, denn ich hörte meine Falsche Tante Fay sagen: »Ach, Shelagh, Shelagh! Ich weiß ja, dass du ganz durcheinander bist, und ist das denn ein Wunder? Mein Gott, als hättest du nicht schon genug durchgemacht! Zuerst dein Johnny! Und jetzt das! Dass sich sein Sohn aber auch so entwickeln muss … Ja, ja, wein dich nur aus, das tut gut.«
Wie ich sie hasste, die Fiese Tante Fay! Sie und meinen Drecksonkel Jason, weil sie so taten, als sagten sie lauter liebe und nette Sachen zu meiner Mam, aber in Wirklichkeit waren sie gar nicht lieb und nett. Denn eigentlich wurde für meine Mam so alles nur noch schlimmer und diese Drecksäcke weideten sich auch noch dran! Aber auf meine Mam war ich noch viel wütender, weil sie klein beigegeben hatte. Immer ließ sie sich von meinem Drecksonkel Jason und der Fiesen Tante Fay unterkriegen, dabei wäre es überhaupt nicht nötig gewesen, weil meine Mam viel mehr Grips im Kopf hat als die beiden zusammen! Und außerdem hatte meine Mam niemanden bestohlen und sich von niemandem Geld geliehen, das sie nicht zurückzahlte. Aber jetzt weinte meine Mam. Und statt meinen Drecksonkel Jason und die Fürchterliche Tante Fay zur Schnecke zu machen, weil sie meiner Oma ihr Geld abgeluchst und es auf den Kanarischen Inseln verpulvert hatten, schluchzte sie jetzt wieder wegen mir . Deshalb trat ich so heftig die Tür auf, dass sie gegen die Wand knallte und meine Mam erschrocken rief: »Raymond! Um Gottes willen!«
Aber ich würdigte sie keines Blicks. Ich lief einfach durchs Wohnzimmer auf die Terrasse, wo ich mich mit meinen Star Wars -Figuren auf den Boden setzte und mir sehnlichst wünschte, es gäbe einen echten Luke Skywalker und der würde mit seinem Lichtschwert nach Failsworth kommen und die Welt von meinen verhassten Verwandten befreien!
Blödmann Berney und seine Schwester waren am andern Ende des Gartens und bemerkten mich erst gar nicht. Aber plötzlich jaulten sie auf und kamen angerannt, wobei sie schon unterwegs anmeldeten, wer mit welchen Star Wars -Figuren spielen wollte. Dolly sang albern vor sich hin: »Ich spiel mit Prinzessin Leiiia! Ich mag Prinzessin Leiiia! Ich spiel mit Prinzessin Leiiia!«
Aber als sie mich erreicht hatte und die auf dem Boden verstreuten Figuren sah, verstummte sie und zog einen Flunsch. Prinzessin Leia war gar nicht dabei! Blödmann Berney fragte, ob er bitte mit Obi-Wan Kenobi und ein paar von den Wookies spielen dürfe, und ich erlaubte es ihm, weil er wenigstens »bitte« gesagt hatte. Die Doofe Dolly stand eine Weile mit finsterer Miene rum, dann stampfte sie mit dem Fuß auf und sagte: »Ich will aber mit Prinzessin Leia spielen!«
»Geht nicht«, erwiderte ich.
»Warum?«, fragte sie und starrte mich böse an.
Eigentlich konnte sie ja gar nichts dafür. Sie konnte doch nichts dafür, dass sie ein dummes siebenjähriges Mädchen war. Wahrscheinlich konnte sie auch nichts dafür, dass sie meine Fürchterliche Tante Fay und meinen Drecksonkel Jason als Eltern hatte. Aber ich konnte auch nichts dafür. Ich konnte nichts dafür, dass man alles, was unten am Kanal passiert war, einfach auf mich geschoben hatte. Ich konnte nichts dafür, dass ich keine Freunde mehr besaß und dass mein bester Freund unser Geheimdokument ausgegraben und mich verraten hatte. Ich konnte nichts dafür, dass ich von der Schule geflogen war und die Pfadfinder mich rausgeworfen hatten. Und als die Dämliche Dolly schon wieder mit dem Fuß aufstampfte und fragte: »Warum? Warum kann ich nicht mit Prinzessin Leia spielen?«, da antwortete ich: »Weil
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