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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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seelenruhig weiter und erklärte seiner Schwester: »Das ist doch nichts Neues! Das weiß doch jeder, Dolly. Fast jedes kleine Kind in Failsworth weiß, dass es nicht zum Kanal runtergehen darf.« Und dann zeigte Berney plötzlich auf Dolly und sagte: »Und du solltest dich auch dran halten, sonst fängt er dich, der Sittenstrolch! Also untersteh dich!«
    »Ja, ja, schon gut«, maulte Dolly.
    »Der Sittenstrolch ist nämlich ganz ganz böse«, fuhr Berney fort. »Unten am Kanal ist es gefährlich, besonders für kleine Kinder. Deshalb haben alle Eltern ihren Kindern verboten hinzugehen. Und kleine Kinder sollten immer tun, was ihre Eltern sagen, hab ich Recht, Raymond?«
    Ich nickte und Berney fuhr fort: »Siehst du, Dolly! Sogar Raymond würde nicht zum Kanal gehen, wenn da so ein Sittenstrolch ist, der einen zu schlimmen Sachen zwingt. Und Raymond ist immerhin schon elf!«
    Dolly schaute finster drein und sagte: »Ich geh ja auch nicht hin. Mummy hat gesagt, wenn ich das tue, verhaut sie mich!«
    Berney nickte ihr zu und meinte: »Ja, falls du überhaupt heil zurückkommst. Aber so ein kleines Mädchen wie du, Dolly! Wenn dich da unten am Kanal der Sittenstrolch erwischt, kommst du vielleicht nie mehr lebendig nach Hause!«
    Jetzt schauerte Dolly zusammen und hielt eine Weile den Mund. Irgendwann bat mich Berney, ihm etwas über Die Rückkehr der Jedi-Ritter zu erzählen, und wir vergaßen die Doofe Dolly. Wenn ich über Star Wars redete, und sei’s zu Blödmann Berney, vergaß ich nämlich alles um mich rum; ich vergaß die Schule und den Kanal, ich vergaß die Pfadfinder und überhaupt alles. Irgendwie war es sogar ganz nett, da draußen auf dem warmen Boden zu sitzen. Aber ich wusste ja nicht, dass die Doofe Dolly ins Haus zurückgegangen war. Ich wusste nicht, dass sie in der Wohnzimmertür stand, dass ihr plötzlich die Tränen in die Augen stiegen und ihre Unterlippe zu zittern begann. Und ich wusste nicht, dass Dollys Mutter schließlich aufsah und fragte: »Was gibt’s denn, mein Schatz? Dolly, was ist denn los?«, und dass Dolly daraufhin schluchzend vom Tod der Prinzessin Leia berichtete. Ich wusste nicht, dass ihr Dad sie auslachte und sagte: »Sei nicht albern! Wie kann Prinzessin Leia denn tot sein, Schatz? Das ist doch nur eine Filmfigur!«
    Und ich wusste nicht, dass Dolly ärgerlich mit dem Fuß aufstampfte und sagte, natürlich sei Prinzessin Leia tot! Das habe Raymond erzählt! Prinzessin Leia sei eine Prostituierte gewesen und habe mit sämtlichen Soldaten der Imperialen Sturmtruppen für fünfzig Pence gebumst!
    Ich wusste nicht, dass die Temperatur im Wohnzimmer schlagartig auf minus vierzig Grad gefallen war. Ich wusste nicht, dass es meinem Drecksonkel Jason vorübergehend die Sprache verschlagen hatte. Ich wusste nicht, dass Tante Fay fast die Teetasse aus der Hand gefallen war und dass meine Mam die Augen geschlossen und ihr Gesicht in den Händen vergraben hatte.
    Ich wusste nichts von alldem, weil ich ja draußen auf dem warmen Terrassenboden saß und Berney von den Spezialeffekten erzählte, die man braucht, um die Ewoks durch den Wald von Endor fliegen zu lassen. Was inzwischen passiert war, merkte ich erst, als mein Onkel Jason an der Hintertür erschien und sagte: »Berney! Komm rein! Sofort!«
    Und Berney ließ seineWookies fallen und gehorchte, und plötzlich stand mein Onkel Jason vor mir, zeigte mit seinem langen Finger auf mich und sagte: »Und dich, du kleiner perverser Scheißkerl, dich prügle ich jetzt windelweich!«
    Ich sah zu ihm hoch, und er starrte wütend auf mich herab. Und mir war zumute, als stünde Darth Vader persönlich vor mir. Und ich weiß, wenn er in dieser Sekunde ein Lichtschwert in der Hand gehabt hätte, hätte er mich, ohne mit der Wimper zu zucken, getötet. Doch gerade als er den Arm hob, um mich zu verprügeln, tauchte Tante Fay hinter ihm auf und flehte: »Jason, um Himmels willen! Das bringt doch nichts! Komm, wir fahren Berney und Dolly nach Hause!«
    Und dann zog sie meinen Drecksonkel Jason weg und warf mir noch hin: »Und du! Du bist einfach widerlich! Einem siebenjährigen Mädchen so schmutzige, perverse Dinge zu erzählen! Sie weint sich da drin die Augen aus!«
    Meine Tante sah voller Abscheu auf mich herab, dann nickte sie und sagte: »Dein Vater war dumm wie Bohnenstroh. Aber wenigstens hat er nicht solche Schweinereien getrieben wie du!« Und dann sah sie mich an, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
    Und mein Onkel Jason zeigte

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