Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
Vom Netzwerk:
haben es getan, nicht nur ich. Und außerdem hab ich keinen dazu gezwungen .«
    »Zu was denn?«, fragte Janice.
    »Zum Fliegenfangen!«, erwiderte ich. »Alle haben mitgemacht. Okay, ich hab es erfunden, aber nur durch Zufall und danach wollten es ja alle tun. Ich hab nie jemanden zum Fliegenfangen gezwungen!«
    Janice sah mich verblüfft an. »Fliegen fangen?«, sagte sie. »Was zum Teufel ist Fliegen fangen?«
    Ich schüttelte nur den Kopf, presste die Lippen zusammen und sagte nichts mehr.
    Janice beugte sich zu mir runter und flüsterte: »Ist das etwas ganz, ganz Schlimmes, das Fliegenfangen?«
    Ich nickte. »Erst war es nicht schlimm«, sagte ich. »Aber dann.«
    Janice richtete sich wieder auf.
    »Und du erzählst es mir nicht?«, sagte sie. Sie wirkte richtig traurig. »Ich dachte, wir wären Kumpel, du und ich! Ich dachte, wir wären Freunde!«
    Ich wollte nicht, dass sie traurig war. Und eigentlich wollte ich es ihr ja erzählen. Weil sie so nett und freundlich war und weil sie es vielleicht sogar verstehen würde. Aber ich schaffte es nicht, ich brachte es einfach nicht über die Lippen. Und deshalb schüttelte ich den Kopf und sagte: »Ich kann nicht!«
    Wieder tätschelte sie meinen Arm, und dann streichelte sie ihn ein Weilchen. »Hey! Schon gut«, sagte sie. »Wir sind immer noch Freunde. Auch wenn du es mir nicht erzählen kannst. Ich versteh dich ja«, sagte sie. »Schließlich bin ich erwachsen und zu einer erwachsenen Person kann ein netter Junge kaum über so etwas sprechen, stimmt’s?«
    Ich zuckte nur die Achseln und Janice fuhr fort: »Aber du bist doch gar nicht mehr der Nette Junge, Raymond, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Du bist ja jetzt der Falsche Junge«, sagte sie. »Und deshalb wäre es doch eigentlich egal, nicht wahr? Denn der Nette Junge hätte ja nichts damit zu tun! Ganz egal, wie schlimm es ist – es wäre der Falsche Junge, der es mir erzählt.«
    Und da wusste ich, dass ich Janice alles sagen würde. Und es war mir ganz egal, dass es so schlimm war; ich wollte es einfach jemandem erzählen, nur ein einziges Mal. Ich starrte vor mich hin, wickelte den Bettdeckenzipfel um meinen Finger und fing an. Ich erzählte ihr von den Fliegen und dass wir alle unsere Pimmel rausgeholt hatten und dass ich damit eine Fliege gefangen hatte und die Fliege dann tot runterfiel und dass es mir später alle andern nachgemacht hatten und ein richtiger Wettkampf daraus wurde. Ich konnte Janice dabei aber keine Sekunde in die Augen sehen, und je länger meine Erzählung dauerte, desto klarer wurde mir, dass es sich wirklich ganz, ganz schlimm anhörte. Und ich bereute schon, dass ich was gesagt hatte, weil Janice jetzt wahrscheinlich nie mehr an mein Bett kommen und mit mir reden würde.
    Und dann hörte ich es. Das Gelächter!
    Und als ich aufschaute, lehnte sich Janice auf dem Bett zurück und lachte so heftig, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen; sie presste sich die Hand vor den Mund, um das Lachen zu ersticken. Ich fand es sehr schlimm, dass sie lachte, und starrte sie empört an, was sie offenbar nur noch mehr zum Lachen reizte! Und jedes Mal, wenn Janice zu einer Entschuldigung ansetzte, prustete sie wieder los; sie bog sich nach vorn und kreischte so laut vor Lachen, dass ich schließlich gegen meinen Willen grinsen musste, obwohl es doch eigentlich gar nicht lustig war. Und dann schauten wir uns an und ich prustete los. Und jetzt konnte ich auch nicht mehr aufhören und wir johlten und kreischten und die grimmige Krankenschwester, die gerade vorbeikam, fragte, was es denn da zu lachen gebe, und das machte alles nur noch schlimmer, und wenn sich einer von uns mal ein bisschen beruhigt hatte, brauchte er nur den andern anzuschauen und schon ging’s wieder los. Und das Lustigste an der ganze Sache war, dass ich keine Ahnung hatte, warum ich eigentlich lachte. Denn es war doch schrecklich, über etwas zu lachen, das so bitterernst war, dass ich deswegen von der Schule geflogen war und nicht mehr zu den Pfadfindern durfte und von allen meinen Freunden geschnitten wurde. Und trotzdem musste ich jedes Mal, wenn ich aufhören wollte, noch mehr lachen. Und irgendwann lag Janice dann über dem Fußende des Betts und hielt sich die Seiten, weil sie kaum noch Luft kriegte. Und ich sagte zu ihr: »Ich weiß wirklich nicht, warum Sie lachen; es ist nämlich überhaupt nicht lustig!«
    Aber Janice lag nur da, rang stöhnend nach Luft und stammelte: »O Gott! O Gott … ich weiß ja, dass es

Weitere Kostenlose Bücher