Der Fliegenfaenger
nicht … Oooh …!« Und sie keuchte und wischte sich die Augen und sagte immer wieder »Großer Gott! Fliegen fangen! O mein Gott! Fliegen fangen!«
Und als Janice sich irgendwann wieder hingesetzt hatte, lächelte sie mich strahlend an und fragte: »Raymond, wie um Himmels willen konnte es passieren, dass etwas so Gutes zu etwas so Schlimmem verzerrt wurde?«
Und dann schüttelte Janice den Kopf und sagte seufzend: »Ich weiß es wirklich nicht!«
Und ich wusste es auch nicht, jedenfalls damals nicht, als das alles passierte. Also saß ich nur da und zuckte die Achseln. Und dann griff Janice nach meiner Hand und flüsterte: »Weißt du was? Nur so unter vier Augen … ich glaube nicht, dass du der Falsche Junge bist.«
Und mit einem Seufzer fügte Janice hinzu: »Ich glaube höchstens, Raymond, dass du ein sehr, sehr dicker kleiner Junge bist.«
Janice nickte mir zu. Und ich sah sie an. Und obwohl ich mich wirklich furchtbar zusammenriss, merkte ich, wie sich mein Gesicht verzog und ich zu weinen begann, und dann erzählte ich Janice, wie der Schulleiter meine Mam direkt von der Arbeit in sein Büro zitiert hatte und wie ich von der Schule geflogen war. Und ich erzählte ihr die Sache mit Dolly und wie sich meine Mam schon wieder über mich aufgeregt hatte und dass ich überhaupt eine solche Zumutung für meine Mam war, dass sie mich nicht mehr lieb hatte und mit mir zum Analpsychotiker gegangen war. Und am Schluss nahm Janice mich einfach in den Arm und sagte zu mir, alles sei gut, jetzt werde alles wieder gut. Das sagte sie mehrere Male: »Es wird alles gut, Raymond. Mach dir keine Sorgen, alles wird wieder gut.«
Und ich nickte und hörte auf zu weinen, denn komischerweise glaubte ich es, wenn Janice das sagte. Janice gab mir den Glauben, dass irgendwann irgendwie alles wieder gut werden würde.
Sie gab mir ein Papiertaschentuch und fragte lächelnd: »Möchtest du gern nach Hause?«
Ich nickte und Janice sagte: »Ich glaube, das lässt sich machen. Ich muss nur noch kurz mit deiner Mam reden. Okay?«
»Regt sich meine Mam immer noch über mich auf wegen gestern Abend?«, fragte ich.
»Na ja, ist doch klar, dass sie sich aufregt, oder?«, sagte Janice.
»Sagen Sie’s ihr?«, fragte ich. »Ich weiß nämlich, dass meine Mam Ihnen glauben wird. Sagen Sie ihr bitte, dass ich mich gestern Abend bestimmt nicht …«
Janice lächelte mich an und erhob sich. »Ja«, erwiderte sie. »Ich sag’s deiner Mam.«
Dann zwinkerte sie mir zu. Und ich sah ihr nach, wie sie durch den großen Krankensaal ging.
Und als sie ganz am Ende angekommen war, drehte sie sich noch mal um und winkte.
Später erzählte mir meine Mam, dass ihr durch Dr. Janice langsam einiges klar wurde. Meine Mam sagte, sie sei damals vor lauter Sorge ganz außer sich gewesen. Aber Dr. Janice erklärte ihr, dass es ihr nicht gut tat, sich so viel Sorgen zu machen, und mir auch nicht. Und Dr. Janice sagte meiner Mam auch, dass sie endlich aufhören müsse, Dinge zusammenzukleistern, die nicht zusammengehörten; zum Beispiel die Angst, dass mein Dad vielleicht ein bisschen verrückt war. Dr. Janice erklärte, meine Mam würde dann so etwas wie diese Angst auf das draufkleistern, was ich unten am Kanal getan hatte.
»Aber diese Dinge gehören einfach nicht zusammen«, sagte Dr. Janice zu meiner Mam.
Meine Mam erzählte, Dr. Janice sei sogar richtig wütend geworden und habe Kraftausdrücke benutzt. Sie war nicht wütend auf meine Mam. Aber als die Rede auf das Fliegenfangen kam, sagte Dr. Janice: »Und worum ging es damals, Shelagh? Jetzt mal ganz ehrlich, worum ging es? Um ein paar Jungs und die haben mit ihrem Ding gespielt und sich ein bisschen Schweinkram mit ein paar Fliegen ausgedacht. Eine Lappalie; bis sich so ein jämmerlicher Wichser von Schulleiter darauf gestürzt und es tatsächlich geschafft hat, ein geniales, wenn auch vielleicht ein bisschen schmuddeliges Spiel in einen skandalösen, schmutzigen, obszönen Akt zu verwandeln.«
Janice nickte meiner Mam zu. Und dann sagte sie richtig wütend: »Aber dieser bescheuerte Schulleiter ist ein richtiges Arschloch, Shelagh!«
Meine Mam sagte, sie habe mit offenem Mund dagesessen. Sie hatte bis dahin aus dem Mund einer Ärztin noch nicht mal das Wort »verdammt« gehört, geschweige denn Wörter wie »bescheuert« und »A…«.
»Ein richtiges Arschloch!«, wiederholte Janice. »Und diesem Scheißschulleiter hätte es wahrscheinlich gut getan, wenn er früher selber mal mit seinem
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