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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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konnte einfach nach Failsworth zurückfahren, ohne meine Mam aufzuregen.
    Aber es hieß nur, die Stornierung erfolge auf Grund technischer Probleme des einfahrenden Fahrzeugs. Und wir müssten auf den 17-Uhr-Bus warten. Es hieß, man würde Gutscheine ausgeben, mit denen sich die Fahrgäste in der Caféteria des Busbahnhofs ein paar Sandwiches holen könnten. Da es bei den Sandwiches aber ausschließlich nichtvegetarische Variationen gab, teils sogar komplett kannibalisch – mit Zutaten wie Zunge, Brust und Muskelfleisch -, schenkte ich meine Gutscheine einem älteren Ehepaar, das sich in die Schlange eingereiht hatte.
    »Wollen Sie die denn nicht haben?«, fragte der Mann.
    »Nein«, erwiderte ich, »ich kann nichts damit anfangen. Ich bin Vegetarier.«
    Jetzt sah mich seine Frau an, legte mitfühlend den Kopf schief und sagte: »Ach!«, als hätte ich ihr soeben eröffnet, dass ich nur noch drei Wochen zu leben hätte.
    Ich machte einen kleinen Rundgang. Trotz des Bustickets blieben mir immer noch ein Pfund fünfundsechzig. Ich entdeckte dieses Bistro und setzte mich rein. Ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, Morrissey, aber obwohl ich bekennender Vegetarier bin, finde ich die Atmosphäre in Vollwertbistros immer irgendwie einschüchternd. Offenbar kommen hier genau die Leute hin, denen der Vegetarismus seinen schlechten Ruf verdankt: Die Gäste hocken herum, als seien sie krank, als verzichteten sie auf Salz und ereiferten sich über Lebensmittelzusätze und FCKW. Dafür, dass sie so bewusst lebende Menschen sind, wirken sie alle ziemlich feindselig. Selbst das Essen hat eine feindselige Ausstrahlung. Ich bestellte mir eine Gemüsepastete. Sie war zwar hundertprozentig vegetarisch, aber auch hundertprozentig misslungen. Ich brachte sie zurück und sagte zu dem Typen an der Theke, die Kartoffeln seien ja noch ganz hart. Er glotzte mich an, als sei er sogar zu faul zum Atmen.
    » Al dente «, erklärte er mir. »Nicht hart!«
    »Und die Karotten?«, fragte ich.
    »Al dente.«
    Ich sah ihn an. »Und der Teig!«, sagte ich. »Hart wie Beton. Soll das etwa auch al dente sein?«
    »Das ist biologisch-dynamisches Mehl, in der Steinmühle gemahlen, was erwarten Sie?«
    Ich sagte: »Na ja, zum Beispiel, dass ich es essen kann, ohne dass mir gleich alle Plomben rausfallen.«
    Er setzte zu einem lässigen Achselzucken an, brach aber mittendrin ab, als reiche die ihm zur Verfügung stehende Energie nicht mal für Lässigkeit aus. Dann tauschte er das steinharte Stück gegen ein anderes aus und meinte, ich könne froh sein, dass ich nicht in der Dritten Welt lebe, wo sich eine zehnköpfige Familie einen Monat lang von einer Hand voll Linsen und zwei Tassen Mehl ernähren müsse.
    Ich fragte: »Wie heißen die Leute?«
    Stirnrunzelnd fragte er zurück: »Wer?«
    »Diese Familie mit den Linsen und den zwei Tassen Mehl«, erwiderte ich.
    Aber er wusste es nicht! Es ist immer das Gleiche mit diesen Healthfood-Faschisten und Designerbuddhisten und Freizeitphilantropen, die ständig von den »Menschen in der Dritten Welt« reden, als hätten die keine Namen. Und sie können von Glück sagen, wenn nicht irgendwann mal ein paar von diesen namenlosen Dritte-Welt-Menschen nach Huddersfield kommen und eine Gemüsepastete verlangen! Vermutlich würden sie schnurstracks in die Dritte Welt zurückeilen und umgehend Hilfslieferungen organisieren, um der Not leidenden Bevölkerung West Yorkshires mit Mehl und Linsen auszuhelfen!
    Ich ließ die Gemüsepastete einfach stehen. Wenigstens bot sich mir so ein Vorwand, im Trockenen zu sitzen, um diesen Brief an dich zu schreiben, Morrissey. Denn ich wollte dir ja noch von Janice erzählen, Morrissey. Janice wusste, dass ich nicht böse oder verrückt war, und sie war unheimlich nett zu mir. Nicht wie die grantige Krankenschwester, die mich weckte. Die mochte ich überhaupt nicht. Die nannte mich einen Lauselümmel!
    Sie behauptete, ich hätte mich ertränken wollen. Aber das war absurd! Ich hatte nicht versucht, mich zu ertränken, sondern den Netten Jungen zurückzuholen. Doch das interessierte sie gar nicht. Und als sie mir das Thermometer in den Mund steckte, sagte sie: »Ich hätte nicht übel Lust, es dir woanders reinzustecken!«
    Da stand sie, die kratzbürstige Krankenschwester, und starrte mich mürrisch an, während sie auf das Thermometer wartete. Und dann sagte sie, ich solle mich schämen.
    »Allerhand, dass ich meine Zeit für so ein egoistisches Bürschchen verschwenden muss, wo es

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