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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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doch so viele wirklich kranke Kinder gibt, richtig kranke Kinder, die für dieses Bett dankbar wären! Kinder, die unverschuldet krank geworden sind und Pflege brauchen! Kinder, die eine Transplantation nötig haben, Kinder mit löchrigen Herzklappen und spröden Knochen, arme Würmchen, denen alles Mögliche fehlt! Um die sollte ich mich kümmern! Um arme kranke Kinder, nicht um kerngesunde Lauselümmel wie dich, die in den Kanal springen, um Aufmerksamkeit zu erregen! Und die mir meine kostbare Zeit rauben, uns allen hier, und so einem armen Würmchen, das es wirklich bräuchte, das Bett wegnehmen!«
    Dann riss sie mir das Thermometer aus dem Mund und ich versuchte noch einmal, ihr die Sache mit dem Falschen Jungen zu erklären.
    Aber sie starrte mich nur an, als sei ich bekloppt. Und dann sagte sie, jetzt könne sie keine Zeit mehr an mich verschwenden, weil sie sich um den kleinen Jungen aus Blackburn kümmern müsse, der mit der neuen Niere und der Mandelentzündung.
    » Das nenne ich arm«, sagte die grimmige Krankenschwester. » Das nenne ich ein krankes Kind!«, und weg war sie. Und ich musste liegen bleiben und auf meine Mam warten. Ich fühlte mich so schrecklich, weil alle dachten, ich hätte versucht, mich umzubringen, wo ich doch nur den Netten Jungen zurückholen wollte. Aber sie glaubten mir nicht und meine Mam würde mir wahrscheinlich auch nicht glauben. Und jetzt würde alles noch viel schlimmer werden als vorher. Ich wusste keinen Ausweg mehr.
    Und plötzlich saß sie auf meinem Bettrand. Ich glaube, ich hatte geschlafen. Sie lächelte mich an, und obwohl ihre Augen sehr müde aussahen, funkelten sie und passten perfekt zu ihrem blonden Haar. Sie war nicht wie die kratzbürstige Krankenschwester. Und sie trug auch keine Uniform wie die anderen Krankenschwestern; sie hatte einen weißen Mantel an, mit einem Namensschild drauf; Janice hieß sie. Sie fragte mich, was ich gern tat und mit was ich am liebsten spielen würde und so weiter. Und ich erzählte ihr von Star Wars und meiner Comic-Sammlung und von den Büchern, die ich gern las.
    Sie fragte mich, was ich lieber hätte, Marvel -Comics oder DC -Comics. Ich war sprachlos! Ich glaube, ich hatte noch keinen Erwachsenen kennengelernt, der sich mit so was auskannte. Als sie mein überraschtes Gesicht sah, musste sie lachen. Sie habe als Kind selber Comics gesammelt, sagte sie. Und die Sammlung gebe es sogar noch.
    »Irgendwo«, sagte sie, »irgendwo auf dem Dachboden. Ich muss sie gelegentlich runterholen und mal wieder anschauen.« Und plötzlich wirkte sie richtig erschöpft, als sie hinzufügte: »Wenn ich je einen Tag freikriege.«
    Aber dann schüttelte sie den Kopf, lächelte mich wieder an und fragte: »Und Fußball? Ein Junge wie du kickt doch bestimmt wahnsinnig gern!«
    Ich sagte, ja, da habe sie Recht. »Aber jetzt kick ich nicht mehr«, fügte ich hinzu.
    Janice wirkte überrascht. »Und warum?«, fragte sie.
    Ich erklärte es ihr. »Früher hab ich mal sehr gern Fußball gespielt – als ich noch der nette Junge war. Da hab ich Fußball gespielt und war bei den Pfadfindern und hab mit meinem besten Freund, Geoffrey Weatherby, Comics gesammelt. Aber jetzt will er nicht mehr mein Freund sein und meine andern Freunde wollen auch nicht mehr mit mir Fußball spielen.«
    Janice sah mich teilnahmsvoll an. »Aber warum, Raymond?«, fragte sie. » Warum spielen sie denn nicht mehr mit dir?«
    Ich zuckte die Achseln und erwiderte: »Weil meine Freunde alle wissen, dass ich nicht mehr der nette Junge bin. Deshalb spielen sie nicht mehr mit mir.«
    Jetzt runzelte Janice die Stirn und sagte: »Diese kleinen Arschlöcher!«
    Ich musste lachen. Eine Krankenschwester, die Kraftausdrücke benutzte! Janice lachte auch. »Ist doch wahr!«, sagte sie. »Wenn sie dich nicht mitspielen lassen!«
    »Ja, schon«, antwortete ich, »aber eigentlich ist es nicht ihre Schuld. Es ist meine Schuld. Denn wenn ich noch der nette Junge wär und nicht so dick, dann würden sie ja noch mit mir spielen. Aber sie wissen es, sie wissen, dass ich eigentlich gar nicht Raymond bin.«
    Jetzt zog Janice die Augenbrauen hoch.
    »Na ja, natürlich bin ich Raymond«, sagte ich, »aber der böse Raymond. Und der gute Raymond ist immer noch im Kanal.«
    Janice sah mich eine Weile an. Dann lächelte sie.
    »Und deshalb bist du gestern Abend reingesprungen?«, fragte sie. »Ist das der Grund, warum du in den Kanal gesprungen bist?«
    Ich nickte und sagte: »Ja, genau.«
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