Der Fliegenpalast
wird, daß nichts wieder so sein wird wie vorher. Man weiß, das Leben wird von nun an in zwei Abschnitte geteilt sein: die Zeit davor und die Zeit danach. Ich hoffe, wir können bald darüber sprechen. Es ist, als trete man plötzlich über eine Schwelle in einen noch geisterhaften Raum, und es bleibt dann nur mehr eine letzte Schwelle zu überschreiten …
DEM JOSEF Redlich sollte er endlich schreiben, sich dafür entschuldigen, daß er ihn – von Lenzerheide aus, wie sie vereinbart hatten – nicht besuchen konnte in seinem nahen Feriendomizil Vulpera. Er bat den Kellner um eine weitere Tasse Kaffee und blickte von dem Brief auf, den Paul Zifferer ihm geschrieben hatte. Darin schlug dieser ihm unter anderem eine gemeinsame Marokko-Reise im nächsten Frühjahr vor. Immer mehr Gäste betraten die Terrasse, aber Krakauer und seine Baronin waren nicht dabei.
Auch dem guten Max Rychner mußte er antworten: Was, hatte er in den letzten zwei Wochen mehrmals überlegt, könnte ich ihm geben für seine
Schweizer Rundschau
? In Lenzerheide hatte er gehofft, ein Stück aus dem
Timon
bald so weit fertig zu haben, daß er es jemandem anbieten konnte. Heugeruch wehte vorüber.
Plötzlich zog eine heftige Sehnsucht durch seine Brust, nach dem Arbeitszimmer daheim, der Couch hinter seinem Schreibtisch, dem Garten, dem Salettel, in dem in jungen Jahren so vieles entstanden war. Was für ein Jammer, daß das heimatliche Klima seinem Kopf so zusetzte. Wie einfach wäre alles! Wozu eigentlich der schöne Garten mit all den Blumen im Sommer, an dem er sich seit vielen Jahren kaum erfreuen hatte können?
Als er im ersten Rodauner Sommer in seinem Garten an drei Nachmittagen die Briefe des jungen Goethe gelesen hatte, um etwas darüber zu schreiben, einen fiktiven Brief, zuerst einmal an seinen Freund Karg von Bebenburg und dann für eine Neuausgabe des Cotta-Verlags. Was für ein Glücksgefühl: Diese jugendfrischen Briefe von einem warmen, ja oft glühenden Empfinden, Sprachkunstwerke waren das,
zum Heulen schön
, wie Max Reinhardt immer sagte. Er bedauerte, keinen Briefband Goethes in seinem Gepäck zu haben. Welches Glück damals, die Verbindung dieser Briefe mit dem liebsten Freund, den er zum Lesen animieren wollte – wer weiß, auf welchem Kriegsschiff und auf welchen Meeren er gerade unterwegs war, schon lange war kein Brief mehr von ihm gekommen. Und der sommerliche Garten. Es gibt ja, hatte er damals gedacht, auf der ganzen Welt keinen besseren Platz, um diese Briefe zu lesen. Und hatte der Gerty, als sie einmal mit der Gießkanne vorbeikam, einige der Briefe vorgelesen.
Das Nachwort zum
Nachsommer
, das er bis zum Spätherbst abliefern mußte. Er griff zu den Aufzeichnungen auf dem Tisch. In der Früh, als er das Konvolut zum
Turm
durchgesehen hatte, waren ihm die drei Blätter untergekommen, auf denen er in Lenzerheide einiges zu Stifter notiert hatte:
Die Leidenschaft und verzückte Schwärmerei wie bei Jean Paul der Urgrund. (Leidenschaft bleibt im Subjekt, statt wie bei Balzac in die Gestalten zu treten.)
Angst vor der Leidenschaft, damit sie den Weltenspiegel des eigenen Ichs nicht trübe …
Idealbilder durch Auslassen geschaffen: das Fortlassen der Kreuzotter bei Stifter …
Da fiel ihm die Kreuzotter ein, die sich vor ein paar Tagen auf dem Waldweg totgestellt hatte. Als er stehen geblieben war, um abzuwarten, was sie tun würde, schlängelte sie sich schließlich auffällig langsam – als wollte sie klarmachen, daß dies keine Flucht war – ins Unterholz. Und wie sie dabei gepfaucht hatte!
ER BEGANN , die korrigierte Fassung des Dialogs ins Reine zu schreiben.
Griechisch-kleinasiatische Stadt der Verfallszeit. Man steht vor einer politischen Umwälzung, und Timon, von dem geredet wird, ist der radikale Führer der Kleinbürger. Die sich Unterhaltenden sind: Bacchis, eine Mimin; Agathon, ein Dichter; Kratinos, ein Philosoph, und drei Adelige: Palamedes, Periander und Demetrius … sowie Phanias, ein verarmter großer Herr
.
Phanias:
Ihr werdet einiges erleben. Der Timon wird euch das Oberste zuunterst kehren. Er ist das, was kommt, und mir soll es ein Vergnügen sein
.
Demetrius:
Du hältst ihn für einen großen Mann?
Phanias:
Für einen frechen Bastardköter halte ich ihn. Aber er hat ein Mundwerk, daß sich um ihn das ganze werktätige arbeitsscheue Gesindel sammelt
.
Agathon:
Die Macht des Demos ist ein Geheimnis
.
Bacchis:
Und wie denkst du über die Macht des Demos, mein
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