Der Fliegenpalast
war wohl, wie man sagt, der Wunsch der Vater des Gedankens … Seit Sie mir gesagt haben, die Baronin Trattnig sei bereits eifersüchtig auf mich – ich kann nicht einschätzen, wie ernst das gemeint war –, fürchte ich, Sie verwendeten zuviel Zeit auf die Lektüre des Bandes meiner Werkausgabe oder auf unsere Gespräche. Gleichzeitig, seit Sie mir von der Sprunghaftigkeit der Frau Baronin sprachen, hätte ich es sehr bedauert, wenn Sie womöglich von einer Stunde zur anderen Bad Fusch verlassen hätten. Der Gedanke, Sie während der Wintermonate vielleicht manchmal bei uns in Rodaun zu Gast zu haben, gibt mir Auftrieb. Wie Sie vielleicht festgestellt haben, habe ich – was ich neulich zu sagen vergessen habe – von den
Briefen des Zurückgekehrten
in dieser neuen Ausgabe nur den letzten Teil übernommen. Mir fällt ein, daß ich auch in den
Prosaischen Schriften
, welche neunzehnhundertsiebzehn erschienen sind, nur die Briefe vier und fünf aufgenommen habe. Selber mag ich mich seit langem nur ungern mit dem Anfang identifizieren. Besonders das erste Kapitel erscheint mir teilweise mißlungen, das Begriffliche überwiegend, die Übersetzung in Prosa, in sinnliche Darstellung mangelhaft …
Einmal, fiel ihm ein, hatte er überlegt, ob Stefan George recht gehabt hatte, als er von der Gefahr sprach, ins Literatentum abzurutschen, in die Zeitungsschreiberei. Der
Zurückgekehrte
, die ersten beiden Teile, war ja zuerst im
Berliner Morgen
erschienen. Die fehlende Zustimmung einiger Freunde hatte ihn damals dazu gebracht, diese Briefe selber nicht so sehr zu schätzen – bis zu dem Gespräch mit Pannwitz, den diese Arbeit offensichtlich sehr beeindruckt hatte.
Jetzt, dachte er, phantasiere ich sogar schon Briefe an den Doktor Krakauer! Aber warum nicht?
Heute nacht, während ich nach einem fürchterlichen Traum wach gelegen bin, ist etwas geschehen. Darüber würde ich gerne mit Ihnen reden, wenn Sie einmal für eine Stunde abkömmlich wären, ohne daß es die Baronin zu sehr aufregt. Es ist möglich, daß Ihr Geständnis gestern in der Viertelstunde, als wir uns im Kurhaus begegnet sind, eine starke Wirkung auf mich hatte: Sie überlegten, sich eventuell von der Baronin, die Ihnen auf Dauer doch zu besitzergreifend sei, zu trennen, vielleicht wieder an das
Allgemeine Wiener Krankenhaus
zurückzukehren.
Ebenso Ihr Bekenntnis zu Elisabeth, der ich ja nur einmal auf der Terrasse des Hotels begegnet bin und von der ich nicht wußte und weiß, in welcher Beziehung sie eigentlich zu Ihnen steht. Es hat mich sehr gerührt, als Sie mir sagten, Sie würden Elisabeth nun schon seit anderthalb Jahren kennen, seit Sie im Dienste der Frau Baronin stünden, aber erst seit Sie sie vor einigen Wochen in der Kammeroper in Wien im letzten Konzert der Saison Hugo Wolf hätten singen hören, empfänden Sie ein tiefes Gefühl für sie. Sie haben sich also zuerst in ihre Singstimme verliebt. Wie schön ist das, und wie gut kann ich es mir vorstellen! Sie haben mir neulich bloß gesagt, daß Elisabeth und ihre Eltern seit dem Krieg völlig verarmt seien, daß sie die Gesellschafterin der Baronin sei, soweit die künstlerische Tätigkeit dies zuläßt. Daß die Baronin Elisabeths Karriere fördere. (Jetzt weiß ich auch, wer das war, deren Stimme ich in den letzten Tagen manchmal aus einem der Fenster im dritten Stockwerk gehört habe. Ich nehme an, sie übte Arien aus der
Traviata
.)
EBEN ERST
habe ich Ihre Nachricht gelesen, Herr Doktor, die Sie mir – wohl während der Nacht oder in der Früh, sichtlich in Eile verfaßt – unter dem Türspalt durchgeschoben haben. Beinah bedaure ich es nun, daß ich Ihnen den Band meiner neuen Werkausgabe überließ und Sie zuviel Zeit mit dem Lesen meiner alten Sachen verbracht haben. Daß Sie – wie ich fühle – deswegen Ihre Baronin vernachlässigen
.
Es ist zehn Uhr vorbei, ich sitze im Lesesaal und lese noch einmal Ihre Zeilen. Sicherlich sind Sie – wie Sie mir mitteilen – mit der Frau Baronin und mit Elisabeth inzwischen längst unterwegs nach Zell am See und weiter nach Salzburg. Sie werden also meine Zeilen, welche ich beim Portier hinterlegen werde, erst morgen abend lesen, nehme ich an
.
Hier hat es leicht zu regnen angefangen; mit einem längeren Spaziergang, auf den ich mich vor dem Aufstehen gefreut habe, um mir im Gehen über einiges Klarheit zu verschaffen, wird es wohl heute nichts werden
.
Schon zuviel, verzeihen Sie
.
Abends
Der Portier sagte mir, Sie kommen erst am
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