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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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einen
glücklichen
Krieg gegeben hat; selbst wenn einige notwendig gewesen sein mögen. Ja, also ich habe ein paar Komödien geschrieben … zuletzt den
Unbestechlichen
. Eigentlich nicht der Rede wert, ein Konversationsstück, das ich so nebenbei gemacht habe, aber dem Wiener Publikum hat es gefallen, im vorigen Jahr.
    So, ich werde jetzt einen Spaziergang machen«, sagte er, während Krakauer wieder seine Taschenuhr hervorzog. »Zu regnen wenigstens scheint es aufgehört zu haben. Ich hoffe, es gelingt mir, heimisch zu werden. In meiner Arbeit meine ich natürlich. Wenn ich in meinem Zimmer bin, meinen Tisch ans Fenster rücke, über meinen Papieren sitze, aufs Kreuzköpfl schaue – dessen äußerste Spitze übrigens seit gestern wieder weiß ist –, dann bin ich selbstvergessen, in der Fusch von früher. Verlaß ich dann das Zimmer, steige ich die Stufen hinunter, erreiche das Foyer, dann wird mir bewußt, was alles sich verändert hat.
    Ich gestehe, die Sehnsucht nach Aussee ist groß. Hätte meine Frau nicht heftig davon abgeraten, wäre ich wohl schon abgereist. Dabei weiß ich aus Erfahrung, daß sich dadurch nichts ändern würde. Vor Mitte August hätte ich keine Ruhe in unserem kleinen Haus dort. In der Kammer im Nebenhaus, meinem Arbeitszimmer, schläft meine Tochter. Das sollte mich nicht stören, ich arbeite ja tagsüber … Aber jede fremde Gegenwart – und wenn ich schreibe, ist mir sogar meine Frau eine Fremde – irritiert die Phantasie und das Assoziieren … Eine geringfügige Störung, und ein ganzer Tag kann mir verlorengehen … Die Wirklichkeit macht unserer Phantasie unentwegt einen Strich durch die Rechnung, nicht?«
    Krakauer schaute neuerlich auf seine Uhr und sagte, er habe die Jahre ab neunzehnhundertzwölf in New York bei seinem Onkel verbracht, auf der
Columbia University
sein Studium begonnen. Nach drei Jahren habe er eigentlich zurück wollen nach Wien – habe aber dann doch sein Studium in den Vereinigten Staaten abgeschlossen.
    »Wir müssen bitte über Ihren
Zurückgekehrten
reden – verzeihen Sie, Herr von Hofmannsthal, ich
würde
es sehr gerne, weil ich … Ich habe mich anfangs nur sehr schwer an das ärmlich gewordene Wien gewöhnen können, und wie für Ihren Zurückgekehrten haben sich für mich die Menschen ungemein verändert …«
    Ein Kellner erschien, übergab Krakauer ein Tablett mit einer Teekanne und zwei Tassen. Er habe sich anfangs nur sehr schwer an das ärmlich gewordene Leben in Wien gewöhnen können, wiederholte Krakauer.

AUF EINMAL fühlte er sich imstande, Harry Kessler den Brief zu schreiben, den er schon lange hatte schreiben wollen. Wie sehr hatte er sich gefreut, daß der Graf Kessler im letzten Herbst ihr langes Schweigen gebrochen und ihm, von einer Schiffsreise aus, einen so berührenden Brief geschrieben hatte … Der unmittelbare Anlaß war offenbar ein Besuch des Grabes von Karl I. in Funchal gewesen, wo der unglückliche Monarch vor zwei Jahren verstorben war …
    Mein Lieber … Wie sehr fehlt mir gegenwärtig ein überlegener, zupackender Geist wie Deiner für hilfreiche Gespräche … Nachdem ich die Neufassung des
Turms
in der Schweiz so ziemlich abschließen konnte, beschäftige ich mich zur Zeit mit der von Richard Strauss angeregten politischen Komödie, welche im dritten Jahrhundert in Athen spielt. Davon habe ich Dir seinerzeit in Berlin einmal erzählt. Jene Gespräche mit Dir während unserer gemeinsamen Arbeit am
Rosenkavalier
waren einzigartig; die Bedeutung Deiner Einfälle, Deiner Kritik ist mir erst viel später …
    Plötzlich wurde ihm klar, warum dieses so lange bestehende freundschaftliche Verhältnis mit Kessler nicht halten konnte: Seine empfindlichen Nerven hatten das hitzige, angespannte Temperament Kesslers immer weniger ertragen können. Er konnte auch nicht vergessen, was Eberhard von Bodenhausen ihm einmal in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt hatte: Kessler sei der Ansicht, er, H., habe
gar kein konstruktives Talent, um eine dramatische Handlung zu erfinden und zu ordnen, und deshalb lehne er sich an vorhandene Szenarien an
. Sei aber ein wirksames Szenario vorhanden, so habe Hofmannsthal die Gabe, dieses in wunderbarer Weise lyrisch zu beseelen, den Figuren und Situationen Leben einzuhauchen …
    Das freut mich aber, hatte er gedacht, daß der Graf Kessler mir ein lyrisches Talent zuschreibt – während ich selber immer öfter fürchte, meine lyrische Gabe zu verlieren. Vor Jahren war er auf ein Wort von

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