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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Sie!
    Das ist die Elisabeth, ich weiß gar nicht, ob Sie sich schon … Baronin Elisabeth von Trattnig, sie wird hoffentlich einmal die Opernbühnen erobern.«
    H. reichte ihr die Hand. Sie schien zurückhaltend. Eine Art leichter Wetterfleck, Lodenrock, gemustertes Seidenhalstuch, Mütze, hochgeschobene Autobrille.
    »Ihr Vorbild ist die Maria Jeritza«, setzte Krakauer hinzu.
    »Ach, interessant«, sagte H., »mit der Jeritza hatte ich oft schon zu tun. Sie hat ja unter anderem meine
Ariadne
gesungen …«
    »Ich weiß«, sagte Elisabeth, die nun aus ihrer Erstarrung zu erwachen schien.
    »Wir sind ja alle Zurückgekehrte, nicht wahr?« sagte H. und nahm den Hut ab, um sich zu verabschieden. »Eben bin ich von einer Wanderung zurückgekehrt, werde demnächst in mein Aussee zurückkehren, und Anfang November werde ich voraussichtlich nach Wien zurückkehren, nach Rodaun. Als ich hier ankam, in den ersten zwei, drei Tagen, hab ich mich überall als ein Zurückgekehrter gefühlt, auf allen Wegen – mit denen ich mich erst wieder vertraut machen musste, den Bänken und Brunnen und Wäldern. Vieles war mir zuerst fremd, und manches ist mir bis heute fremd geblieben … Es ist halt so lange her. Vieles ist inzwischen neu gebaut worden oder umgebaut … Und Sie sind gerade aus Zell am See zurück – auch keine Kleinigkeit, die Fahrt hier herauf, mit dem Automobil, stelle ich mir vor. Morgen möchte ich mit dem Postautobus hinunterfahren, und am Nachmittag werde ich wieder zurückkehren.«
    »Ich muß dann heute später sicherlich noch einmal hinunter«, rief Krakauer, indem er sich umdrehte, »falls Sie mitfahren möchten?«
    »Heute nicht«, sagte H., »ich muß mich an den Schreibtisch setzen, es nützt nichts. Liebend gerne würde ich jede Ablenkung willkommen heißen … Ach, ich habe vergessen, ich will ja zur Post, einen Brief einwerfen.« Und dabei näherte er sich Krakauer wieder.
    »Ich las Ihr
Gespräch zwischen Balzac und Hammer-Purgstall
«, sagte Krakauer, nachdem er einen Riemen am Rücksitz festgeschnallt hatte. »Die Geschichte mit dem Maler Frenhofer fasziniert mich sehr, besonders die Stelle« – er blickte sich um, dämpfte seine Stimme –, »wo der junge Poussin ihm seine hübsche junge Geliebte als Modell anbietet, als Opfer für die Kunst gewissermaßen, weil Frenhofer behauptet hatte, es gebe keine Frauen mehr mit einem vollkommen schönen Körper … Sagen Sie, in welchem Werk Balzacs finde ich diese Frenhofer-Geschichte?«
    H. setzte seinen Hut wieder auf.
    »Sie müßte in einem der Bände der
Comédie humaine
stehen«, sagte er. »Zu Hause in Rodaun hab ich eine hübsche Einzelausgabe … Es ist ja auch eine Auseinandersetzung zwischen der akademischen, klassizistischen Malerei und der romantischen. Ja, eine wunderbare Künstlernovelle. Ich weiß gar nicht mehr, welchen Stellenwert sie in meinem Dialog haben soll …«

ER BLÄTTERTE im zweiten Band seiner kürzlich erschienenen Werkausgabe, welchen der Portier ihm ausgefolgt hatte, mit der Visitenkarte des Doktor Krakauer. Er fand im Inhaltsverzeichnis des Bandes die
Briefe des Zurückgekehrten
nicht, dann fiel ihm wieder ein, er hatte für diese Ausgabe bloß zwei Abschnitte aus diesen Briefen übernommen, unter dem Titel
Die Farben
. Das Thema der Wahrnehmung war ja das Zentrale dieser fiktiven Briefe, das Farberlebnis des Zurückgekehrten.
    Wie war er bloß am Vorabend dazu gekommen, der Alma Mahler zu schreiben? Er zerknüllte die beiden Blätter, die von dem Henry-James-Band beschwert waren, und dazu auch den Zettel vom Kubin, den handschriftlich kopierten, fast unleserlichen Kettenbrief. Verrückter Kerl, dieser Kubin. Wie kam der bloß dazu, ihn zu so etwas aufzufordern:
Innert vierundzwanzig Stunden neunmal abschreiben und an neun Personen Ihrer Wahl weiterschicken
. Hatte der Mensch nichts anderes zu tun?
    Aber der Brief von Christiane aus Aussee hatte seine Stimmung gehoben. Wie schaffte sie das bloß immer? Sie schrieb über ihre Lektüre von Stendhals
De l’Amour
. Jetzt verstehe sie das Buch endlich, mit zwölf Jahren habe sie es heimlich gelesen und nichts damit anfangen können. Und über die
Gefährlichen Liebschaften
des Choderlos de Laclos – diesen Roman habe sie nach hundertfünfzig Seiten aufgehört zu lesen … Über ihre Freundschaft mit dem Thankmar von Münchhausen … Dann gab’s noch einen Walter Tritsch …
    »Papa, warum versuchen die Männer immer wieder, eine Grenze zu durchbrechen?« hatte sie ihn einmal

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