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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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was hätte ich anfangen sollen, ich kann ja nichts anderes.«
    Er zog sich seine Jacke über.
    »Es war hier in der Fusch«, fuhr er fort, »als ich meinem Vater bei einem Spaziergang mitteilte, ich könne mir eine Universitäts-Laufbahn nicht vorstellen. Übrigens hat es wegen einer Anstellung als
Kulturvermittler
über Hermann Bahr Kontakte mit dem Unterrichtsministerium gegeben. Dabei habe ich die Bürokratie in unseren Ämtern kennengelernt; es wäre für mich ohnehin nicht in Frage gekommen. Das Gesuch an die Universität, Vorlesungen halten zu können, habe ich nach meiner Heirat zurückgezogen. Wir sind nach Rodaun übersiedelt, die Verkehrsverhältnisse waren um die Jahrhundertwende noch sehr mangelhaft. Damals arbeitete ich intensiv an einem Drama über Guido von Arezzo und seine Frau Pompilia – eine Art Kriminalgeschichte. Endlich schien ich den Stoff zu einem großen Drama gefunden zu haben. Aber was plappere ich da, ich halte Sie unnötig auf, verzeihen Sie mir.«
    Krakauer dämpfte seine Stimme: Er habe heute nacht eine Entscheidung getroffen, eigentlich zwei Entscheidungen, seine Zukunft betreffend und jene von Elisabeth. Etwas verbinde ihn mit Elisabeth, vielleicht sei es jetzt bloß ein Wollfaden, aber es könnte viel mehr sein. Dies sei ihm während eines gemeinsamen Spaziergangs neulich in Salzburg bewußt geworden, in aller Frühe, als er neben ihr stehend vom Mönchsberg auf die Stadt hinuntergeschaut habe.
    »Elisabeth fürchtet, die Baronin könnte sich von ihr abwenden. Die Baronin sieht es nicht gerne, wenn wir uns absondern, beisammensitzen und reden. Was sie vermutet oder argwöhnt, trifft nicht zu. Bis jetzt jedenfalls. Heute hab ich mir gesagt, dieser Mensch ist etwas wirklich Kostbares … Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sie einmal ein wenig kennenlernen würden. Ihr
Zurückgekehrter
hat mich dazu gebracht, einen Entschluß zu fassen, der mir schon seit einiger Zeit im Kopf herumgeht. In mein eigenes Leben zurückzukehren …«
    »Während Sie in Salzburg waren«, sagte H., »habe ich Ihnen einen langen Brief geschrieben. Aber wenn ich mich jetzt zu erinnern versuche, was ich Ihnen geschrieben habe, bin ich überhaupt nicht mehr sicher, ob ich Ihnen tatsächlich geschrieben habe oder ob ich mich bloß auf einem Spaziergang in Gedanken mit Ihnen unterhalten habe, wie ich es seit vielen Jahren immer wieder …«
    Er erschrak, als plötzlich neben dem Badezimmer eine Tür aufgerissen wurde und die Baronin sich in einem blasslila Bademantel zeigte, einen Schrei ausstieß und die Tür wieder zuschlug. Eine Verbindungstür? Hatte sie mitgehört, was wir gesprochen haben? Er hatte gerade noch erkennen können, daß die Baronin kaum Haare auf dem Kopf hatte und im Gesicht viel älter aussah …
    Kurz davor hätte er beinah zu Krakauer gesagt: »Wozu sich mit Prosa beschäftigen, wenn man Poesie haben kann?«, und er hatte dabei die Baronin und ihre Nichte im Sinn gehabt. Wie dumm, hatte er gedacht, das kannst du doch nicht sagen.
    Er dankte Krakauer für die Untersuchung und verabschiedete sich. Und fügte hinzu, er wolle demnächst selber einmal nach Zell am See hinunterfahren, um ein Geschenk für seine Frau zu kaufen.

» JETZT HAB ich endlich die
Presse
für Sie erkämpft.« Der Ober hielt ihm die in den Rahmen geklemmte Zeitung so hin, daß er sie am Stiel entgegennehmen konnte, und setzte hinzu: »Ich bedaure sehr, aber das
Journal
ist anscheinend unauffindbar.«
    Ein Herr mit Zylinder im Hintergrund des Cafés irritierte ihn, sein gepflegter Schnurrbart, er hatte sofort an den Poldy gedacht. Solche Hüte trugen jetzt sogar in Wien nur noch wenige. Ein anderer Herr saß im Wintermantel an seinem Tischchen, legte jedes Mal, wenn er die Kaffeetasse zum Mund führte, die andere Hand auf eine Zeitung, als fürchte er, sie könnte ihm abhanden kommen. Das Strafausmaß für Herrn Hitler, der derzeit in Landsberg in Festungshaft einsaß, war vermindert worden, las er.
    Was war da in seinem Kopf aufgeblitzt? Im alten Café
Central
, als er mit Peter Altenberg über eine Unterstützung, über mögliche Geldgeber gesprochen hatte, war jemand wie ein Gespenst vorbeigehuscht, war wiedergekommen, hatte eine Reihe von Bildchen auf ihren Tisch gelegt, nicht viel größer als Spielkarten, kolorierte Stadtansichten von Wien. Nach einer Weile war er von der anderen Seite gekommen, hatte seine Kunstwerke wieder eingesammelt, als wäre es ein Versehen gewesen. Altenberg, der ja in den dunkelsten

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