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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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zwei Karten im Kurhaus zu besorgen, für das Konzert eines berühmten Künstlers, am Abend. Es war der Geburtstag des Kaisers gewesen, der 18. August. Alle Hotels waren beflaggt worden, und er hatte beim Portier Dekken und Sitzunterlagen besorgen müssen. Roman Podschinsky hatte der Pianist geheißen. Es war ein lustiger Sommer gewesen, trotz Mamas Erkrankung. Am Abend davor war er mit dem Musiker Kreil und dem Maler Guggenmoser zusammengewesen, sie hatten eine Gaudi gehabt, einer von den beiden hatte eine Flasche Wein besorgt … Aber auf seinem Zimmer dann, um elf, war er zu müde gewesen, um sich zu seinen Büchern und Notizen zu setzen.
    Er blieb noch am Brunnen stehen, erfreute sich an den malerischen Figuren, welche das dünn sprudelnde Rinnsal aus der Röhre auf der Wasseroberfläche im Trog verursachte, dazu blinkende Lichtreflexe, obwohl die Sonne schon hinter dem Tauernkamm untergegangen war. Die Eltern hatten den Aufenthalt um zwei Wochen verlängert; am geplanten Abreisetag erlitt die Mutter eine furchtbare Nervenkrise. Nichts war aus dem Ausflug geworden, aus dem Vorhaben, mit der kürzlich fertiggestellten Zahnradbahn auf die Festung Hohensalzburg zu fahren.
    Es war das Jahr, in dem vor der Abreise in die Sommerfrische die Frau von Wertheimstein gestorben war.
    In den Wochen in der Fusch waren Terzinen entstanden, die der Erinnerung an sie viel verdankten.
    Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
    Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
    …
    Zu wissen, daß das Leben jetzt aus ihren
    Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt
    In Bäum und Gras …
    Der Tod der teuren Freundin und Gönnerin hatte ihn während der ganzen Ferien durchdrungen, und ein paar Mal hatte er überlegt, ob – eigentlich unverständlich – seine Trauer der Grund dafür war, daß er in diesen Wochen so gut hatte arbeiten können. Berauschende Einfälle, überschwemmt hatte es ihn geradezu. Oft hatte er zehn Stunden am Tag geschrieben, an den Terzinen, an Entwürfen für Novellen, für weitere Gedichte. Erwartet hatte er vor Antritt der anstrengenden Reise bloß eine furchtbare Erschöpfung. Das monatelange Büffeln davor, die juridische Staatsprüfung … Ich bin so schrecklich weit weg von der Stimmung des Arbeitens, war ihm am ersten Tag in der Fusch vorgekommen.
    Eigentlich, hatte er gedacht, hab ich ja meistens kaum drei, vier gute Monate im Jahr, in denen mir das Schreiben leicht von der Hand geht – daheim, in der Brühl, auf dem Semmering –, und dieses Jahr hat mich die Prüfung zwei Monate gekostet … Dabei waren ihm manchmal während des Lesens in den juristischen Bänden poetische Gedanken, Einfälle durch den Kopf gegeistert, oder Bruchstücke von Gelesenem. Zum Beispiel brachte er den Gedanken,
daß alles gleitet und vorüberrinnt
, nicht aus dem Kopf.
    »Woher hast du denn
das
?« hatte der Vater während eines Spaziergangs gefragt, als H. den Satz rezitierte.
    Walter Pater hatte in seinen Renaissance-Studien einen Satz aus Platons
Kratylos
zitiert, der jedoch ursprünglich von Heraklit stammte: Alles bewege sich und nichts bleibe ruhig. In dem Brief, den er damals an Hermann Bahr schrieb, hatte er erwähnt, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht habe: den englischen Kunstkritiker Walter Pater, seine
Imaginären Porträts
, die wunderbare
Giorgione-Studie
.
    Auf dem Blatt, auf das er den Gedanken Heraklits notiert hatte, waren dann die Zeilen der ersten Terzine entstanden, wobei er von einer Erinnerung ausgegangen war: die Besuche in Döbling, auf dem Anwesen der Wertheimsteins in dem schönen Garten, der Tisch unter der Linde, wo er halbe Tage lang allein gelesen und geschrieben, aber manchmal auch für die Prüfung gelernt hatte. Dann wieder in dem großen Haus die alte Frau in ihrem Lehnstuhl, der Handkuß, ihr strenger Geruch, vermischt mit Fliederduft …
    Auch die Freundschaft mit Marie, ihrer Nichte, eine Liebschaft beinah, war ihm immer wieder im Kopf herumgegangen. Diese unsäglich liebenswürdige und bildhübsche junge Frau, so stark und eigenwillig in gewisser Beziehung und so labil auf der anderen Seite – er hatte es beenden müssen, hatte langsam eine Distanz zwischen ihr und sich gelegt. Das Schmerzliche daran war gewesen, daß sie selber ja lange vor ihm schon gewußt hatte, daß sie zu schwach, zu haltlos war für eine Liebesbeziehung oder gar einen Lebensbund. Jede Erschütterung, ob eine bedrohliche, ob eine durch Glück hervorgerufene, war bei ihr zu vermeiden, hatte ihm ihre

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