Der Flirt
womöglich helfen.«
Auf der Karte stand:
Valentine Charles.
Vermittler seltener häuslicher Dienste.
Zufriedenheit absolut garantiert.
Half Moon Street 111
Zwei Tage nach dem Erscheinen der Anzeige in der Stage wurde die Half Moon Street 111 von Antworten schier überschwemmt, und der Briefträger musste klingeln, weil die vielen dicken Umschläge nicht in den Briefkasten passten.
Valentine Charles wusste nicht so recht, ob er diesen Teil des Verfahrens mochte. Es war zeitaufwändig und kräftezehrend, all die Briefe durchzusehen, doch wenn man zufällig auf ein seltenes Juwel stieß, konnte es auch aufregend sein. An diesem Morgen war die Flut besonders stark gewesen, und er saß in seinem Kaschmirmorgenmantel mit seinem Morgenkaffee da und betrachtete zufrieden den Stapel. Irgendwo da drin war ein angehender neuer Lehrling, eine Antwort auf die Personalsorgen, die ihn in den vergangenen Monaten gequält hatten.
Er überlegte, ob er sich gleich daraufstürzen sollte, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Er war ein Gewohnheitstier, und er hing an der starren Routine seines Tagesablaufs. Eine der Freuden des Alleinlebens war das Privileg, Tag für Tag in beliebiger Reihenfolge die Rituale zu praktizieren, die den eigenen Geschmack und die eigenen Bestrebungen bestimmten, ohne Gefahr zu laufen, dabei gestört zu werden. Mit achtundfünfzig Jahren war Valentine äußerst dankbar für sein solitäres Dasein.
Er hatte geliebt, ein paar Mal, kurz, doch nur ein Mal ernstlich. Die Liebe war nicht erwidert worden, und so hatte
er sich mit sämtlichen Aspekten des Alleinlebens ausgesöhnt, die vielen Menschen so verhasst waren. Jetzt schätzte er sie über alle Maßen. Im Laufe der Zeit hatte er sich von einem einsamen, wachsamen Menschen in einen vollständig unabhängigen Menschen verwandelt, der sich selbst mit all der Aufmerksamkeit eines Liebenden bedachte. Je älter er wurde, desto deutlicher erkannte er, dass nur wenigen Menschen die Zeit und die Mittel gegeben waren, sich rundum so zu verwöhnen, wie er es tat. Er musste sich seit Jahren in keiner bedeutenden Angelegenheit an einen anderen Menschen anpassen. Er war vollkommen unentschuldbar egoistisch und dankbar dafür, dass er es sein konnte. Wenn er jetzt an die Frau dachte, die ihm das Herz gebrochen hatte − was er nur noch selten tat −, betrachtete er sich als mit knapper Not davongekommen.
Nein, er würde seinen Kaffee austrinken, einen Blick auf das Kreuzworträtsel werfen und dann wie gewohnt sein Bad nehmen. Und während er sich ankleidete, würde seine Assistentin Flick kommen.
Flick war ihm vor zwölf Jahren von einer Agentur geschickt worden. Als sie bei ihm aufgetaucht war, war sie eine ziemlich mürrische Irin in einem beigefarbenen Twinset von Mark’s & Spencer gewesen, deren Mann kurz vorher gestorben war. Ihr voller Name lautete Mary Margaret Flickering, doch Valentine hatte sie schon bald Flick getauft. Zuerst war sie entsetzt gewesen. Doch ganz allmählich war Mary Margaret Flickering verblasst, und Flick hatte übernommen. Das beigefarbene Twinset verschwand, sie trat entschiedener auf, ihre Stimme wurde selbstbewusster, und Valentine erlebte die Macht, jemanden neu zu formen. Flick war heute kühner und wagemutiger, als Mary Margaret Flickering es je gewesen war. Und viel lustiger. Inzwischen war sie unersetzlich für ihn.
Die Half Moon Street war kein traditionelles Büro, sondern eher eine altmodische Junggesellenbude. Sie war in den späten fünfziger Jahren das letzte Mal renoviert worden und verfügte noch über einige ursprüngliche Installationen, die inzwischen wieder heiß begehrt waren. Es gab ein großes Empfangszimmer, ein winziges Büro, ein Schlafzimmer und eine Küche, die nur ein Mann als angemessen empfinden konnte. Die Wohnung war möbliert wie ein Szenenaufbau aus Wiedersehen in Brideshead , ein Hauch von Luxus und Antiquitäten, in eine Studentenbude gestopft.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Valentine mit der Idee gespielt, sich ein separates Büro zuzulegen, doch in Wirklichkeit genoss er es, Flick um sich zu haben. Sie brachte genau den richtigen Touch von Häuslichkeit in sein Leben. Es gefiel ihm, aus seinem Schlafzimmer zu kommen und sie dabei anzutreffen, wie sie die Post durchsah; öfter mal rückte sie beiläufig, wie es eine Ehefrau getan hätte, seine Krawatte zurecht. Es war das Maß an Intimität, das er brauchte, ohne den gemeinhin damit einhergehenden emotionalen Aufruhr.
Sobald sie da
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