Der Flirt
steifen Schultern sich entspannten, und lächelte ebenfalls. »Es sollte ein Beipackzettel dabei sein, was? Oder so eine Aufschrift wie auf Zigarettenschachteln: Heiraten ist tödlich!« Sofort überfielen ihn Schuldgefühle. »Oder wenigstens: All die guten Sachen hören auf … zum Beispiel Sex!« Diesmal klang sein Lachen hohl und gezwungen.
Der Kellner kehrte zurück, und mit einem frischen Glas Scotch bewaffnet, fing Jonathan sich wieder. »Ich meine, jeder hat mal einen schwarzen Tag, oder?«
Der Mann schwieg.
»Es ist nur so, dass meine Frau ewig schwanger ist! Ein Kind nach dem anderen … Das verändert ein Mädchen. Sie ist nicht mehr dieselbe«, fügte er hinzu und starrte in sein Glas.
»Ja, alles verändert sich«, bestätigte der Mann freundlich.
Es war eine schlichte Bemerkung, doch die Stimme des Mannes hatte einen wehmütigen Unterton. In seiner Trunkenheit bildete Jonathan sich ein, dieser Fremde verstünde mit großer Scharfsicht eine ganze Reihe von Erfahrungen, die seine verheirateten Freunde niemals zugeben würden.
»Die Sache ist die« - Jonathan beugte sich vor und senkte die Stimme -, »dass ich in Wirklichkeit gar nicht mehr scharf auf sie bin!«
Da. Endlich hatte er es laut ausgesprochen. Vor einem völlig Fremden, aber vielleicht war das das Beste. Er verspürte eine Mischung aus Erleichterung und Panik. »Ich meine, ich liebe sie. Selbstverständlich liebe ich sie …«
Liebte er sie wirklich?
War es Liebe oder nur Gewohnheit, die sie noch zusammenhielt? Ein scharfes Brennen breitete sich in seiner Brust aus; die Frage war zu schmerzlich, um darüber nachzudenken.
»Ja.« Der Fremde neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Sehen Sie, in meinen Augen ist die Ehe eine äußerst heikle Angelegenheit. Unverwüstlich, ja, aber eher wie eine fein gearbeitete Schweizer Uhr als, sagen wir mal, eine riesige, verdreckte Landmaschine. Wenn das ganze System knirschend zum Erliegen kommt, ist manchmal eher ein wenig Feinarbeit vonnöten und keine wahnsinnig aufwändige, grobschlächtige Reparatur.« Während der Mann sprach, bemerkte Jonathan, wie elegant seine schwarzen handgenähten Schuhe schimmerten und dass seine dunklen, marineblauen Socken perfekt auf den Farbton seines Nadelstreifenanzugs abgestimmt waren. Elegante silberne Manschettenknöpfe blitzten auf, als er die Hände hob und die Spitzen seiner langen Finger aneinanderdrückte. »Aus dem, was Sie gesagt haben, höre ich heraus, dass es durchaus möglich ist, dass beide Seiten sich vernachlässigt fühlen, vielleicht auch nicht gebührend gewürdigt. Klingt das in Ihren Ohren nach einer exakten Einschätzung?«
Aus seinem Mund klang es so einfach, so normal.
Jonathan nickte. »Ja, ich nehme an.«
»Solche Situationen können leicht außer Kontrolle geraten. Wie ein Schneeball, sozusagen, der im Rollen immer größer wird. Aber« - er hielt vielversprechend den Finger hoch - »wenn einer von Ihnen sich ein wenig Mühe geben würde, könnte er ganz leicht in eine andere Bahn gelenkt werden, glauben Sie nicht?«
Jonathan stellte sich einen riesigen Schneeball vor, der auf ihn zudonnerte und dann plötzlich ausbrach und in die entgegengesetzte Richtung rollte, dabei immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand.
»Vielleicht …«
Der Mann spürte sein Zögern. »Aber wenn man einmal zugelassen hat, dass sich eine solche Dynamik zu lange ungehindert entwickelt, hat man nicht immer die emotionalen Ressourcen, um die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen«, schloss er.
»Das stimmt!« Noch nie hatte jemand Jonathans ganz persönliche Malaise so prägnant und exakt beschrieben.
»Ja, ja, natürlich!« Der Mann nickte. »Das habe ich tausend Mal erlebt!«
»Tatsächlich?« Jonathan beugte sich vor.
»Absolut! Verzweifeln Sie nicht. Dieses ganze schwierige Kapitel Ihrer Ehe können Sie in einer Woche überwunden haben«, versicherte der Mann ihm unbekümmert. »Und statt einer distanzierten, schmollenden Frau, die sich aufgegeben hat, bekommen Sie ein entzückendes, selbstbewusstes Geschöpf zurück … ohne dass Sie die Zeit, die Kosten und die Quälerei auf sich nehmen müssen, die es bedeutet, vor Dritten in langwierigen Diskussionen intimste Details auszubreiten.«
»Ehrlich? Aber was kann man denn sonst machen?«
Der Mann nahm etwas aus seiner Brusttasche, ein schmales, silbernes Visitenkartenetui. Ohne besondere Eile oder Dringlichkeit holte er eine Karte heraus und reichte sie Jonathan. »Ich kann Ihnen
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