Der Flirt
seinem Bett in seiner Junggesellenbude in Chelsea Pläne geschmiedet hatten. Da waren sie noch zu zweit gewesen. Amy hatte ein Bild von einem großen, behaglichen Heim für die Familie gemalt, erfüllt von Gesang und Lachen, wie in dem Film The Sound of Music , wo eine diskrete, dankbare Armee freundlicher Kindermädchen, zurückhaltender Putzfrauen und frecher Aupair-Mädchen am Esstisch köstliche Mahlzeiten servierte, und wo Erwachsene und Kinder eine ruhige Stunde zivilisierter Konversation genossen …
Dann dachte er an das zerquetschte Marmite-Sandwich und an die Steckbausteine, die einer der Jungen, wie er an diesem Morgen entdecken musste, in seine Aktentasche gequetscht hatte. An das winzige, überteuerte Haus in der nicht besonders feinen Umgebung von South London, in das
sie sich zwängten. An das verdrießliche spanische Au-pair-Mädchen, das regelmäßig die ganze Eiscreme aufaß.
Das alles entsprach ganz und gar nicht diesem Traum.
Er brauchte Amy bloß anzuschauen, schon war sie wieder schwanger. Drei Kinder unter neun Jahren, und jetzt war noch eines unterwegs! Natürlich liebte er die Kinder. Darum ging’s nicht. Das wahre Verbrechen lag bei Amy. Sie hatte ihn im Stich gelassen; gleich zu Beginn der ersten Schwangerschaft hatte sich die sanfte, hingebungsvolle Frau, die er geheiratet hatte, in Luft aufgelöst und war quasi über Nacht abgelöst worden von einer witzelnden Shakespearschen Amme mittleren Alters, samt des dazu passenden Körpers von ausladenden Ausmaßen.
Er musste allein zusehen, wo er blieb; verwiesen auf die Außenseiterrolle einer Autoritätsfigur, die nur wegen ihrer einzigen nützlichen Eigenschaft geduldet wurde − seiner Fähigkeit, diese ganze Extravaganz zu finanzieren.
Das war nicht fair.
Und er war einsam.
Er richtete den Blick müde auf seine Uhr.
Gerade noch Zeit für ein weiteres Glas.
Die Bar war trotz der späten Stunde noch ziemlich voll. Jonathan hatte Mühe, die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich zu ziehen. Er stand mit zittrigen Beinen auf. Als er einen Schritt tat, stieß er gegen ein Clubmitglied, das die Financial Times las.
»… mir schreggich leid!«, lallte er und versuchte, die Balance wiederzufinden, seine Krawatte glattzustreichen und die Zeitung des Mannes zu entknittern, alles auf einmal. Erfolglos.
Der Gentleman lächelte und fuhr mit raschen Bewegungen über seinen elegant geschnittenen maßgeschneiderten Anzug. Er führte Jonathan zu seinem Sessel zurück, wo dieser dankbar zusammenklappte.
»Ehrlich, ich kann mich nich offgenuch entschuldigen.« Jonathans Wangen waren gerötet von Peinlichkeit und Anstrengungen. »Wie dumm von mir. Ungeschickt. Tut mir wirklich sehr, sehr leid …« Seine Stimme verklang. Was für ein Alptraum. Am Ende würde der Portier ihm ein Taxi rufen müssen, und Amy hätte ihren großen Tag. Die ganze Tragweite seines Tuns entfaltete sich vor ihm, ebenso vorhersehbar wie unvermeidbar.
Er seufzte.
Der Mann neigte seinen grauen Kopf zur Seite, setzte sich dann neben Jonathan und schlug die Beine übereinander. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir, aber mir scheint, als hätten Sie gewaltig etwas auf der Seele.«
Jonathan schaute in seine ruhigen grauen Augen. Sie waren so besonnen, so freundlich, so vorurteilslos.
»Ja.« Er nickte. »Ja, wissen Sie, das habe ich wirklich.«
Der Mann lächelte. »Manchmal ist es sehr schwer. Niemand versteht einen richtig.«
Jonathan beugte sich eifrig vor und umklammerte sein leeres Glas. »Ja, das stimmt!«, pflichtete er ihm bei.
»Nur weil wir« - der Fremde unterbrach sich - »sollen wir sagen, Männer von Welt sind? Da geht jeder davon aus, dass wir allein mit allem klarkommen.« Er hob den Arm, und sofort eilte ein Kellner herbei. »Kann ich Sie zu einem Glas einladen?«
In diesem Augenblick schien das Jonathan die freundlichste Geste zu sein, die ihm seit langem widerfahren war. »Vielen Dank«, sagte er dankbar. »Haben Sie vielen Dank!«
Der Kellner nahm ihre Bestellung auf und ging lautlos davon, und Jonathan machte es sich wieder in seinem Sessel bequem. Beinahe unbewusst schaute er auf seine Uhr und runzelte die Stirn.
»Spät?«, fragte der Fremde.
Jonathan lachte steif. »Noch nicht. Nein, nein. Noch nicht.« Er merkte, dass sich das anhörte, als würde er unter dem Pantoffel stehen. »Verstehen Sie, meine Frau ist schwanger. Ist nachts nicht gern allein im Haus«, log er.
»Ah! Das Eheleben!« Der Mann lächelte wissend.
Jonathan spürte, wie seine
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