Der Flirt
vernichtend.
»Das ist ein Vorlegelöffel«, sagte er schließlich. »Und obendrein noch ein ziemlich großer.«
Rose sah zu, wie er einen letzten vernichtenden Haken machte und das Notizbuch dann zuklappte.
»Ich fürchte, Miss Moriarty, Ihre Kenntnisse über Tafelgeschirr lassen einiges zu wünschen übrig.«
Ihre goldene, einmalige Gelegenheit zerrann ihr zwischen den Fingern.
»Ja, aber das kann ich alles lernen. Sie wissen schon, mir ein Buch aus der Bücherei holen oder so.«
»Die Position der Juniorassistentin der amtierenden stellvertretenden Hauswirtschafterin erfordert äußerstes Taktgefühl und besondere Diskretion. In den Kreisen, in denen die
Bourgalt du Coudrays sich bewegen, wimmelt es von Aristokraten, Politikern, berühmten Schauspielern und Schauspielerinnen, bekannten Persönlichkeiten aus der Kunstwelt, Musikern.«
»Ja«, unterbrach Rose ihn eifrig, »über die weiß ich alles! Stellen Sie mir ein paar Fragen!« Als leidenschaftliche Leserin der Zeitschrift Hello! sollte sie diesen Test mit fliegenden Fahnen bestehen.
»Was ich damit sagen will«, fuhr Gaunt fort und warf ihr einen vernichtenden Blick zu, »ist, dass das Menschen sind, die an einen gewissen Standard gewöhnt sind und bei denen man sich schlicht keinen Fehler erlauben darf. Unter keinen Umständen. Hinzu kommt, dass Mr. Bourgalt du Coudray ein Gentleman mit sehr wenig Geduld ist. Wenn er um einen Hummerdreizack bittet, mein Mädchen, und Sie reichen ihm einen Dessertlöffel, dann stecken Sie schnell in beträchtlichen Schwierigkeiten.«
»Oh«, sagte Rose noch einmal.
Das alles stellte sich als sehr viel schwieriger heraus, als sie angenommen hatte.
Er ging in die Halle, und sie folgte ihm, dabei nutzte sie die Gelegenheit, sich kurz am linken Bein zu kratzen.
»Sprache ist äußerst wichtig.«
»Ich fluche so gut wie nie!«
»Ich meine damit nicht nur unflätige Ausdrucksweisen, Miss Moriarty.« Er riss die zweiflügelige Tür zu einem der größten, kunstvoll möblierten und schönsten Räume auf, die Rose je im Leben gesehen hatte. »Wie würden Sie diesen Raum bezeichnen?«
Sie überlegte: Es war der Raum nahe der Haustür. »Vorderzimmer?«
»Salon«, berichtigte er sie. »Genau das meine ich. Man muss sich der korrekten Sprache bedienen, nicht nur, weil
man sich sonst verläuft, sondern weil die Sprache den Ton bestimmt, Gästen gegenüber genauso wie Dienstherren. Niemand möchte in einem Haus arbeiten, wo ein lockerer Ton herrscht. ›Madame, Mr. XY wartet im Salon.‹ Das erinnert sie daran, wer sie sind und was sie tun. Ihretwegen können sie sich, sobald Sie den Raum verlassen haben, auf dem Boden herumrollen und grunzen wie die Schweine. Doch es ist der Ton, der in einem Haushalt herrscht, und die Qualität des Personals, die für ein kultiviertes Ambiente sorgen. Den Ton unter Niveau sinken lassen hieße, sich selbst zu degradieren, Miss Moriarty.«
Er reichte ihr einen Stoß kleiner Karteikarten und einen Bleistift. »Für Ihre letzte Übung möchte ich, dass Sie die korrekte Bezeichnung von allem aufschreiben, was Sie in diesem Raum sehen. Ich bin in fünfzehn Minuten wieder da, um Ihren Fortschritt zu überprüfen. Und vergessen Sie nicht, eine schöne Handschrift fällt auch ins Gewicht.«
Er schloss die Türen.
Rose sah sich um.
Es gab schrecklich viel Zeug.
Sie fing mit dem Wesentlichen an.
»Kautsch«, schrieb sie und legte die Karteikarte vorsichtig mitten auf das samtgepolsterte Knole-Sofa. »Schäselong«, etikettierte sie die Ottomane. Auf beiden Seiten standen zwei große Sessel mit kunstvoll verschnörkelten Armlehnen, mit Blattgold belegt. Sie erinnerten sie an die, die Posh und Becks bei ihrer Hochzeit gehabt hatten. »Sein Thron und ihr Thron«, schrieb sie ordentlich.
Also, irgendwo musste ein Fernseher sein. Niemand hatte ein Sofa ohne Fernseher. Sie sah sich im Zimmer um. Warte mal’ne Minute … er war bestimmt irgendwo hinter der Wandverkleidung! Sie lächelte. Sehr clever! Davon ließen sich sicher viele an der Nase herumführen. »Fernseher«,
schrieb sie und achtete darauf, die vollständige und korrekte Bezeichnung zu benutzen und nicht nur »TV« zu schreiben. Sie leckte die Karte hinten an und klebte sie an die Wand.
Auf der Empire-Kommode mit Marmorplatte standen Flaschen mit Alkohol und Gläser. »Hausbar«, notierte sie. Und diese Bücherregale waren voller Attrappen, als sie versuchte, ein Buch herauszuziehen, merkte sie, dass sie alle zusammengeleimt waren.
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