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Der Flirt

Titel: Der Flirt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Tessaro
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war, machte er einen flotten Morgenspaziergang um den St. James’s Park und schaute dann bei Fortnum’s herein, um etwas zum Mittagessen zu besorgen (im Augenblick waren sie beide scharf auf Bauernbrot, Foie gras und frische Feigen). Dann ging er wieder nach Hause und machte es sich bequem, um die Bewerbungen durchzusehen, die sie inzwischen geöffnet und sortiert und aus denen sie die lächerlichsten gleich ausgesondert hatte.
    Es gab nur zwei, die wirklich von Interesse waren. Eine von einem dunklen sinnlichen jungen Mann aus Wales und die andere von einem blonden Internatsschüler aus North-West London. Der Liebes-Lebenslauf des Walisers war schockierend anschaulich; er hatte offensichtlich gedacht, es ginge um die Position eines Gigolos, und wollte zeigen, dass er das entsprechende
technische Know-how draufhatte. Doch der des Schuljungen war gewinnend kurz; er hatte seine Jungfräulichkeit an einen Freund seiner Schwester verloren, war mit einigen Mädchen ausgegangen und hatte sich in der Schauspielschule in eine Studentin verliebt, die die Julia gespielt hatte, während er den Romeo gab, nur um festzustellen, dass die Gefühle rasch verblassten, als die Produktion vorbei war. Und jetzt hatte er eine Affäre mit einer älteren Frau.
    Aufmerksam betrachtete Valentine das Foto. Der Junge sah auf Merchant-Ivory-Art gut aus, und doch erweckte er den Eindruck eines leeren Blatts Papier, er strahlte eine Art naiven Optimismus aus, der ihn entweder als Idioten auswies oder als Heiligen. Neben ihm wirkte der junge Waliser eindeutig halbseiden.
    Triumphierend hielt Valentine das Foto hoch. »Flick, kannst du es sehen? Ist es nicht erstaunlich? So ein Exemplar habe ich seit Jahren nicht gesehen!«
    Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und kniff die Augen zusammen. Nach einem Augenblick nickte sie. »Ja, ich sehe es! Bemerkenswert! Als würde man in einen leeren Raum schauen!«
    »Ein vollkommen ungeformter Charakter!«, stimmte er ihr zu. »Perfekt! Wärst du bitte so freundlich, Flick, und würdest Mr. Hughie Armstrong Venables-Smythe anrufen? Wenn er im richtigen Leben nur halb so formbar ist wie auf Papier, dann ist unsere Suche, glaube ich, vorbei.«

Eine fast unmerkliche Wendung des Schicksals
    Rose stand unglücklich vor einem mit Tafelsilber überladenen Tisch. Ihr Bewerbungsgespräch lief ganz und gar nicht gut. Es hatte vor über einer Stunde angefangen, als Mr. Gaunt, der Butler, sie wegen ihres dürftigen Lebenslaufs ausgefragt hatte. Dann war er zu dem übergegangen, was er als »praktische Übungen« bezeichnet hatte. Sie hatten gerade herausgefunden, dass sie nicht wusste, wie man Tafelsilber richtig pflegte, und spielten jetzt ein Ratespiel mit diversen Besteckteilen. Das Kostüm, das sie sich von ihrer Freundin Sheri geborgt hatte, war an den meisten Stellen zu weit und an anderen zu eng. Und es war rau. Doch sie wagte es nicht, sich in Gegenwart von Mr. Gaunt zu kratzen.
    Gaunt für seinen Teil hatte sich nie so recht von dem nachhaltigen Eindruck erholt, den die Fernsehserie Das Haus am Eaton Place in den siebziger Jahren auf ihn gemacht hatte. Es war eine Zeit gewesen, da er mit seiner Identität gekämpft hatte, und das Ergebnis war eine seltsame Hingabe an archaische Klassenunterschiede, gepaart mit einer starken Obsession für Jean Marsh, der Darstellerin des Zimmermädchens Rose. Und so kam es, dass sich Machtspielchen, die in den eher traditionellen sadomasochistischen Club-Zirkeln ziemlich harmlos hätten gelöst werden können, mit alarmierender Regelmäßigkeit in sein Berufsleben einschlichen.
    Die arme Rose beobachtete voller Furcht, wie seine behandschuhte
Hand sich auf ein weiteres exotisches Werkzeug zubewegte.
    »Und dies, Miss Moriarty?« Er hielt ein schmales, gebogenes Teil mit drei langen Zinken hoch.
    Die reinste Höllenqual.
    Sie zögerte. »Noch eine Gabel?«
    Er seufzte und machte ein Häkchen in sein Notizbuch neben all die anderen Häkchen. »Das ist ein Hummerdreizack, Miss Moriarty. Äußerst selten. Im Notfall kann er auch verwendet werden, um Krabben zu servieren. Aber nur im Notfall.«
    »Oh.«
    Am Anfang hatte sie versucht, ihre Fehler mit Witzchen zu überspielen, doch das war inzwischen lange her, und so viel Amüsantes gab es über Besteck einfach nicht zu sagen.
    »Das ist der Letzte«, informierte er sie und wählte ein letztes Stück aus.
    Sie lachte fast vor Erleichterung. »Ein Dessertlöffel!«, rief sie triumphierend.
    Gaunts Schweigen war

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