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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Verlies zurückgelassen, um Saraqujal in Sicherheit zu wiegen und ihn dann hinterrücks anzufallen, den Moment der Überraschung zu nutzen und das so blitzschnell, dass im Gesicht des Toten keine Furcht stand, nur Erstaunen.
    Lukas beschleunigte seinen Schritt. Ich stolperte, fiel fast hin, aber er hielt nicht inne, zog mich nur weiter.
    »Wir müssen hier raus!«, rief er wieder, und er, der bis jetzt doch so besonnen auf alle Gefahren reagiert hatte, klang erstmals panisch. »Das ist doch alles … vollkommen verrückt! Warum ist das Blut so blau? Warum ist er tot? Warum …«
    Er brach ab und schloss die Augen, um seiner Panik Herr zu werden. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie, obwohl meine eigene zitterte. »Wir … wir dürfen nicht durchdrehen!«, beschwor ich ihn.
    Er öffnete die Augen, nickte. »Die Mädchen …«, murmelte er.
    »Ja, die Mädchen. Wir müssen an sie denken! Alles andere zählt jetzt nicht.«
    Mir wurde das Herz schwer, als ich an Aurora dachte … wo immer sie war … Caspar war gewiss schon auf dem Weg zu ihr …
    Die Gänge schienen geradewegs ins Nichts zu führen. Das Echo unserer Schritte hallte von den Wänden wider, und dann, ganz ohne Vorwarnung, ein anderer Laut: ein durchdringendes Krachen. Ich duckte mich instinktiv, verlor Lukas’ Hand, wurde im nächsten Augenblick von einer unsichtbaren Macht erfasst – einer Druckwelle, die stark genug war, mich auf den Boden zu reißen und mich um die eigene Achse zu rollen, bis ich endlich liegen blieb. Kleine Stein regneten auf mich herab.
    Dann wieder ein Krachen, wieder eine Druckwelle. Ich zog die Beine an, um meinen Kopf zwischen den Knien zu schützen, und konnte doch nicht verhindern, dass ich gegen die Wand geschleudert wurde, mein Gesicht an einen der Holzpfosten schlug. Splitter bohrten sich in meine Hand.
    Lukas!, wollte ich schreien, Lukas! Doch meine Stimme wurde von einem weiteren Krachen übertönt, und die Staubwolke, die sich jetzt gebildet hatte, war so dicht, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte.
     
    »Was war das?«
    Ich wusste nicht, wie viel Zeit seit der dritten Explosion vergangen war. Reglos war ich an der Wand liegen geblieben, hatte mich auf nichts anderes konzentrieren können als auf den nächsten Atemzug. Bei jedem einzelnen hatte ich das Gefühl, dass eine schwarze Wolke in mich drang und sich klebrig wie eine Teerschicht über meine Lungen legte. Doch irgendwann hatte sich der Staub gelegt, und ich konnte wieder freier atmen und hochblicken. Ich sprang auf, hörte in meinen Ohren ein lautes Pfeifen. Als ich den Kopf schüttelte, wurde es nur noch stärker. Staub wirbelte aus meinen Haaren. Auch Lukas’ Gesicht war von einer grauen Schicht überzogen.
    »Sophie!« Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. Doch im nächsten Augenblick war ein Knirschen neben mir zu hören. Die Taschenlampe fiel zu Boden, das Licht erlosch. Das Knirschen wurde immer lauter, und dann spürte ich schon, wie Lukas mich packte, mich zur Seite zog, mir zuletzt einen schmerzhaften Stoß versetzte.
    »Lauf!«, schrie er.
    Ich sah nicht einmal die Hand vor Augen, aber folgte seinem Befehl, setzte Schritt vor Schritt und wich gerade noch rechtzeitig einem einstürzenden Holzpfeiler aus. Eine weitere Staubwolke breitete sich aus, ließ mich husten, doch das bedrohliche Knirschen war endlich verstummt.
    »Lukas?« Aus meinem Mund kam nur ein Krächzen. »Lukas!«
    Wieder musste ich husten, meine Kehle schmerzte. Als ich mich wieder aufrichtete, leuchtete mir Lukas ins Gesicht. Er musste trotz des Chaos die Lampe wiedergefunden haben.
    »Was geschieht hier nur?«, rief ich atemlos.
    »Das … das war eine Sprengung.«
    Ich starrte ihn verständnislos an.
    »So etwas macht man hier eigentlich schon seit langem nicht mehr«, erklärte er, und an seiner leicht zitternden Stimme hörte ich, dass der Schreck ihm in allen Gliedern saß. »Das sogenannte Kammerabbauverfahren ist eine Methode, um Salz zu gewinnen. Es werden Bohrlöcher gemacht, dann wird ein Material wie Ammoniumnitrat eingefüllt und dieses dann gesprengt. Das Haufwerk, das übrigbleibt, bringt man aus dem Berg, um später das Salz herauszulösen.«
    Ich bereitete mich innerlich auf ein weiteres Knirschen und Krachen vor. Es blieb still, aber ich spürte, wie der Boden unter uns vibrierte. Rasch zog mich Lukas ein paar Schritte weiter, ehe er stehen blieb und auf einen Pfeiler deutete.
    »Siehst du das? Diese Pfeiler stützen die Gänge – sie sind

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