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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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das sie der Schwärze kein weiteres Mal erlauben würde, in sie zu dringen. Erschöpfung und Müdigkeit waren vergessen, ebenso das Gefühl, zu fallen, sich zu verkrampfen. Stattdessen spannte sich ihr Körper an, straffte sich, schien zu wachsen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Und als Caspar ihr noch näher kommen wollte, befahl sie kalt: »Keinen Schritt weiter.«
    Hatte sie es laut gesagt oder es ihm nur in Gedanken befohlen?
    In jedem Fall verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Seine Augen schienen größer zu werden, aus ihren Höhlen zu quellen. Wieder bohrte sich sein Blick förmlich in sie, doch diesmal war sie vorbereitet. Sie hob beide Hände, spreizte ihre Finger und hielt sie vor sich wie ein Schutzschild. Nein, er würde nicht an sie herankommen. Die Kräfte, die er hatte, die Macht, die er einst über sie ausgeübt hatte – sie würden nutzlos an diesem Schild abprallen. Seiner schwarzen Wolke setzte sie eine blaue entgegen. Für einen normalen Menschen waren diese Wolken unsichtbar, doch auch ein solcher musste das Knistern spüren, in dem sich die unerträgliche Spannung entlud. Rasch zog Mia die Hand von ihrer Schulter, als wäre es gefährlich oder schmerzhaft, sie zu berühren.
    »Oho!«, stieß Caspar aus, und es klang gequält und trotzig zugleich. »Du hast dazugelernt.«
    Aurora ließ ihre Hände wieder sinken und setzte nunmehr allein auf die Macht ihres Blicks. »Weiche von mir!«
    Nicht nur die Stimme klang fremd und uralt – auch die Worte waren es. Nie hätte sie selbst solche gewählt, nun wiederholte sie sie immer wieder: »Weiche von mir!«
    Und Caspar wich zurück, nein, es war eher, als würde er zurückgeschleudert. Er fiel durch den halben Raum, prallte gegen die Wand, krümmte sich dann, als hätte ihn ein Schlag in die Magengrube getroffen.
    Er fasste sich erstaunlich schnell, sprang auf, jetzt fast tänzelnd, lächelte wieder, nein, lachte. »Du kannst verhindern, dass ich dir zu nahe komme«, rief er. »Aber wenn du deine Mutter retten willst – solltest du das nicht tun.«
    Da war keine Hingabe mehr – nur Wut. Und Spott.
    Sobald er Sophie erwähnt hatte, sank sie von den Zehenspitzen zurück auf die Fersen. Die Kraft, deren sie sich eben noch so sicher gefühlt hatte, fiel von ihr ab. Beinahe wäre sie nach hinten gekippt, wenn Mia sie nicht gepackt hätte.
    »Was … was hast du mit ihr gemacht?«, fragte Aurora. Dieses fremde, uralte Wesen in ihr, das heute erwacht war, mochte es vielleicht mit Caspar von Kranichstein aufnehmen. Aber es konnte nicht ihre Furcht bezwingen. Die Furcht um die Menschen, die sie liebte.
    »Ich?«, fragte Caspar gespielt unschuldig. »Ich habe gar nichts gemacht!«
    Wieder trat er auf sie zu, und diesmal unternahm sie nichts dagegen. Ihr Blick fiel auf seine Hände – die von blauem Nephilimblut ebenso besudelt waren wie sein Schwert. »Wen hast du getötet?«
    »Ich?«, fragte Caspar wieder. Er blieb stehen, hielt nun freiwillig Distanz, doch seine Augen funkelten bösartig.
    »Wenn du es mir nicht sagst, finde ich es auch selbst heraus!«
    Er hob stolz den Kopf. »Nur zu!«, forderte er sie auf.
    Ob diese Aufforderung nun ernst gemeint war oder nicht – Aurora zögerte. Sie wusste, dass es ihr irgendwie gelingen würde, in seinen Kopf einzudringen und seine Gedanken zu lesen. Aber ob sie sie auch beeinflussen können würde, wusste sie nicht.
    Allerdings – es musste klappen! Sie musste es wenigstens versuchen! Ihre Mutter … ihre Mutter war in Gefahr … schon die ganze Zeit über hatte sie das gespürt. Und jetzt stieg eine Vision in ihr auf – kurz, aber klar wie ein Blitz, von Schwertern, von noch mehr Blut, von Sophie, die verzweifelt schrie.
    Dann sah und fühlte und hörte sie gar nichts mehr. Ganz leer wurde es in ihrem Kopf, als sie in seinem Blick versank, sich in diese Schwärze bohrte. Sie las nicht einfach nur seine Gedanken, sie konnte sie durch und durch fühlen. Caspars Gedanken waren schmerzhaft wie Peitschenhiebe. Und zugleich verwirrend.
    Wieder sah sie Sophie, diesmal nicht schreiend, sondern vor Schreck erstarrt. Sah auch Lukas, Marian, Samuel Orqual, Nathan.
    Nein, dachte sie, nein, das passt nicht zusammen! Er täuscht mich! Die Bilder machen keinen Sinn!
    Ja, Samuel Orqual war in Wahrheit Saraqujal und Marian ein Nephilim-Kind wie sie. Das konnte sie noch verstehen, aber nicht das andere … nicht das andere …
    »Das … das kann nicht sein.«
    Caspar grinste schmal. Versuchte er womöglich,

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