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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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erst, dass wir eine Tür erreicht hatten, als wir unmittelbar davor stehen blieben. Marian stieß sie auf.
    Das Erste, was mir in dem Raum auffiel, waren riesige und zugleich völlig veraltete Kessel.
    »Wo sind wir hier?«
    Das Licht schmerzte in meinen Augen. Sie brannten so, als ob ich stundenlang geweint hätte. Ich kniff die Augen zusammen, blickte mich dann aufgeregt um. So grell mir das Licht nach der langen Finsternis erschienen war – es war doch zu schwach, um hinter den überdimensionalen Kesseln und Pfannen etwas auszumachen.
    »Wo ist sie?«, rief ich verzweifelt.
    Marian starrte mich eindringlich an, summte ein A, schon wieder ein A.
    »Ja!«, sagte ich. »Aurora! Wo ist sie?«
    Er schüttelte den Kopf. Es wirkte verlegen – und mitleidig.
    »Aber du hast mich doch zu Aurora geführt? Deswegen summst du das A, nicht wahr?«
    Der Ton verstummte, er schüttelte wieder den Kopf. »Ach, Marian, was willst du mir sagen? Hat dein Summen etwa nichts mit Aurora zu tun?«
    Diesmal nickte er. »Aber was …«
    Ich verstummte, zuckte zusammen, Marian auch – denn in diesem Augenblick hörten wir die Schritte, weiche, leichte Schritte. Ich glaubte, mir würde der Atem aussetzen – vor lauter Erleichterung.
    »Mama!«
    Mir entging der panische Ton in ihrer Stimme. Das Einzige, was zählte, war, dass sie hier war, dass ich sie endlich gefunden hatte … Aurora … meine Tochter … hinter der nun auch Mia hervortrat, kalkweiß im Gesicht und mit verweinten Augen … aber auch das zählte nicht … das Einzige, was zählte, war, dass sie lebten und dass wir endlich wieder vereint waren.
     
    Ich konnte nichts sagen, konnte Aurora nur an mich ziehen, ihr immer wieder übers Haar streicheln, über ihr Gesicht, ihre Schultern, wollte mich nur vergewissern, dass sie nicht verletzt war. Tränen stiegen mir in die Augen. Bevor sie mir über die Wangen laufen konnten, löste sich Aurora sanft, aber entschieden von mir.
    »Endlich bist du da, Mama …«
    »Alles wird gut«, murmelte ich, »jetzt wird alles gut.«
    »Weißt du, was passiert ist?«
    Die Frage beunruhigte mich. Hatte sie bereits erfahren, was Nathan zugestoßen war? Dass er …? Nein, ich konnte es nicht einmal denken. Und Saraqujal – wusste sie schon, dass er nicht einfach nur Marians kranker Großvater gewesen war? Und Caspar, der mich getäuscht hatte, der …
    Doch auch daran wollte ich nicht denken, wollte sie nur immer wieder umarmen. Wieder löste sie sich nach einer Weile aus meiner Umarmung, blickte mir ins Gesicht – und gab auch mir die Möglichkeit, sie genau zu betrachten. Vorhin war es mir nicht aufgefallen, es hatte nur gezählt, dass sie und Mia am Leben waren und es ihnen gutging – doch nun stellte ich fest, wie sehr sie sich in der kurzen Zeit verändert hatte, wenn ich auch nicht genau sagen konnte, auf welche Weise. Da war etwas Fremdes, Unbezähmbares, Geheimnisvolles an ihr. Sie wirkte erschöpft, aber zugleich so hellwach und konzentriert wie in Trance. Eine gewaltige Kraft ging von ihrem Körper aus und ging auf mich über, belebend und zugleich fast schmerzhaft. Am meisten verstörten mich ihre Augen, ihre blauen Augen …
    Ich wusste, dass die Nephila wieder in ihr erwacht war, ich hatte insgeheim erwartet, dass mir mein Kind fremd sein könnte, aber nichts hatte mich auf diesen Anblick vorbereitet, auf dieses Strahlen.
    Mir stockte der Atem, während hinter mir ein erstickter Laut ertönte. Ich war nicht die Einzige gewesen, die das Leuchten dieser blauen Augen wahrgenommen hatte. Als ich herumfuhr, sah ich, wie Marians Blick starr auf Aurora gerichtet war und wie seine Züge sich binnen weniger Sekunden veränderten. Eben noch hatte er verzweifelt und hilflos gewirkt, hatte immer wieder diesen Ton gesummt, ohne sich verständlich machen zu können. Nun war alles Kindliche, Verwirrte, Ängstliche von ihm abgefallen. Voller Faszination und zugleich voller Hingabe blickte er auf Aurora, kam langsam näher, mit Sehnsucht und Hoffnung, dass das blaue Licht ihn ganz und gar durchdringen, ihn wärmen konnte. Etwas Machtvolles, Befehlendes ging von ihrem Blick aus – und Marian fügte sich dem ohne Widerstand, beruhigt und zugleich tief aufgewühlt.
    »Hast du es ihr gesagt?«, fragte Aurora. Nicht nur ihre Züge hatten sich verändert, auch ihre Stimme. Das war nicht die Stimme meiner Tochter, sondern eine viel tiefere, viel ruhigere, ältere.
    »Aurora …«, brachte ich fassungslos hervor.
    Sie achtete nicht auf mich,

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