Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
tot … nicht tot, ging es mir im gleichen Takt durch den Kopf.
    Manchmal in den letzten Jahren hatte ich Scheu vor seinem Körper empfunden, nicht nur, weil ich mir immer im Klaren gewesen war, dass dieser nicht der eines Menschen war, sondern weil er sich selbst seiner außergewöhnlichen Stärke und Schönheit zu schämen schien, beides lieber verbarg, anstatt es stolz zur Schau zu stellen – und ich auf dieses Spiel einging, indem ich nur den Mann sehen wollte, den Nephil zu ignorieren vorgab. Doch jetzt zählte nicht, ob er Mann oder Nephil war, unsterblich oder nicht – jetzt zählte, dass er wieder bei mir war, dass ich ihn berühren konnte, mit ihm verschmelzen, ohne Zaudern, ohne Schranken.
    »Nathan, o Nathan, ich dachte …« Ich hielt inne. Genau betrachtet hatte ich eben nicht gedacht. Sondern hatte nur gefühlt. Zuerst die Trauer und Verzweiflung, nun seine Nähe, seine Liebe. Verspätet schaltete sich jetzt mein Verstand ein und drängte mich, jene Frage zu stellen, die meine Freude, ihn lebend zu treffen, vorerst zum Verstummen gebracht hatte.
    »Lukas sagte doch, dass Saraqujal dich getötet habe!«
    Nathan schob mich von sich, um mir zu antworten. Ehe er etwas sagen konnte, ertönte ein Geräusch hinter uns: ein Lachen – oder eher ein Knurren. Ich zuckte zusammen. Kurz hatte ich die übrige Welt vergessen, kurz hatte sich der Augenblick von aller Zeit gelöst. Jetzt landete ich wieder in der Wirklichkeit. Als ich herumfuhr, war Caspars Blick auf uns gerichtet. Seine schwarzen Augen schienen sich wie giftige Pfeile in mich zu bohren. Bitterkeit ging von ihm auf mich über, einem klebrigen Nebel gleich, der mir erst das Atmen schwermachte, dann einen galligen Geschmack in meinem Mund hinterließ. Und da war noch etwas anderes neben dieser Bitterkeit – ein Schmerz, der so viel älter war als dieser Augenblick.
    Die Spinnenhände zitterten leicht.
    »Könnt ihr euer Liebesglück vielleicht später zelebrieren?«, fragte er. Er spuckte jedes Wort förmlich aus, aber als er hinzufügte, dass uns wohl nicht mehr viel Zeit bliebe, lag weniger Verachtung als vielmehr Panik in seiner Stimme. Mit dieser schien er auch Aurora anzustecken. Sie legte ihren Kopf leicht schief, lauschte angestrengt. Ihr ganzer Körper spannte sich an, schien größer zu werden und zugleich schmaler. Währenddessen weinte Mia verzweifelt, und Marian hielt die Arme um seinen Körper verschränkt, als könne er sich auf diese Weise klein machen und sich irgendwie verstecken.
    Ich blickte von Nathan zu Caspar und wieder zu ihm zurück. Nathan trug ein Schwert – und auch unter Caspars Mantel wölbte sich eine Waffe, dennoch kämpften sie nicht gegeneinander. Warum nicht?
    Obwohl ich die Frage nicht laut stellte, antwortete Aurora mir prompt – mit jener alten, wissenden Stimme: »Sie haben sich verbündet … sie mussten es tun.«
    Aus Caspars Mund kam wieder dieses knurrende Lachen – in Nathans Gesicht breitete sich Widerwille aus, aber auch grimmige Entschlossenheit.
    »Ihr habt Saraqujal gemeinsam getötet?«, ging mir die Wahrheit auf. Marian zuckte, aber er gab keinen Ton mehr von sich, nicht einmal mehr dieses Summen.
    »Ich lass mich doch nicht zum Lakaien eines Wächters machen!«, stieß Caspar aus und straffte stolz seine Schultern. Trotz aller Panik, trotz dieser Bedrohung, die in der Luft lag und von der ich nicht wusste, wovon sie ausging – wollte er offenbar nicht versäumen, das eindringlich zu beteuern.
    »Saraqujal wollte, dass du Nathan tötest, damit er sich die Hände nicht selber schmutzig macht«, setzte ich an, »aber warum hast du nicht …«
    »Saraqujal ging es in Wahrheit um mehr, um so viel mehr«, schaltete sich Nathan ein. »Ja, er wollte meinen Tod – aber wenn es ihm nur darum gegangen wäre, hätte er nie diesen finsteren Plan ausgeheckt. Tatsächlich wollte er den Krieg.«
    Unscharf erinnerte ich mich daran, was Caspar eben gesagt hatte. Dass wir uns geirrt hätten – und Saraqujal, anders als ursprünglich angenommen, nicht dafür verantwortlich war, die Nephilim zu lenken und zu leiten, sondern den Krieg zu führen.
    »Er hatte geplant, nicht nur mich, sondern auch Caspar zu töten«, fuhr Nathan fort, »um diesen Krieg mit allen Kräften neu anzuheizen. Er hat alle Schlangensöhne und Wächter aus der Umgebung hierhergelockt, um ihnen unsere Leichname zu präsentieren – und von ihnen zu fordern, für uns Rache zu nehmen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe diesen Plan erst

Weitere Kostenlose Bücher