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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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anderen zu tun, weil …
    Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich Schritte hörte und sich Arme über meine Schulten legten. Voller Panik riss ich mich los.
    »Sophie … was hast du denn?«, fragte Nathan verwirrt, der eben von seinen Einkäufen zurückkehrte.
    Ich keuchte. »Nichts … es ist nichts …«, versuchte ich ihn rasch zu beschwichtigen. Natürlich hatte ich damit keinen Erfolg. Nathan durchschaute sofort, dass irgendetwas mir Sorgen machte.
    »Sophie …«
    Nun war ich es, die meine Arme über seine Schultern legte, mich an ihn lehnte, mich von der Wärme seines Körpers beschwichtigen ließ. »Ich … ich bin nur erschrocken … weil …«
    Ich zögerte.
    »Weil was?«
    Ich konnte ihn nicht anlügen. Stockend erzählte ich, was geschehen war oder zumindest einen Teil davon: Dass Samuel Orqual und ich eine Gestalt in Caspar von Kranichsteins Anwesen gesehen hatten. Und dass im Gesicht des alten, gelähmten Mannes ein Ausdruck größter Panik gewesen war.
    Ich verschwieg ihm allerdings, dass diese Gestalt mit der schwarzen Kleidung, den schwarzen Haaren und der starren Haltung Caspar bis aufs Haar geglichen hatte. Plötzlich kam es mir nicht nur beängstigend, sondern auch lächerlich vor, auch nur auszusprechen, dass Caspar noch leben könnte. Vor allem aber war es undenkbar, aus dieser Entfernung die Augenfarbe eines Fremden erkennen zu können.
    Wer immer mich da angeblickt hatte – vielleicht waren seine Augen nicht schwarz gewesen, sondern grau, sein Mantel einfach nur dunkelblau und die Haare braun.
    Doch auch wenn ich es nicht laut sagte – Nathan erriet, was mir durch den Kopf ging.
    »Es kann nicht sein«, sagte er schnell. »Caspar von Kranichstein ist tot.«
    »Ja, ich weiß, und trotzdem …«
    Er drückte beschwichtigend meine Schultern, versuchte zu lächeln – doch ich sah, dass es ihm schwerfiel.
    »Ich bin nur erschrocken, jemanden zu sehen, aber ich …«
    »Aber du würdest dich wohler fühlen, wenn ich nachsähe, was dort oben los ist«, führte er meinen Satz zu Ende.
    »Ich könnte mitkommen und …«
    »Kommt gar nicht in Frage! Du bleibst hier!«
    Ich wollte protestieren, aber er hob abwehrend die Hände und das so energisch, dass ich ihm nichts entgegensetzen konnte. »Ich bin gleich wieder zurück!«, versprach er und hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Geh wieder rein …«
    Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, ihm heimlich zu folgen – aber hineingehen konnte ich auch nicht. Stattdessen sah ich zu, wie er auf das Haus zuging – zwar ohne zu zögern, aber doch in normalem Tempo und nicht blitzschnell, wie die Nephilim liefen.
    Endlich hatte er das Anwesen erreicht und verschwand hinter der Hecke. Ich konnte nun nichts mehr von ihm sehen – ich konnte nur warten. So ruhig dort oben alles blieb – ich fühlte mich plötzlich wieder beobachtet … nein, richtiggehend belauert … aus hämischen, spöttischen Augen …
    Ich presste unruhig meine Lippen aufeinander.
    Caspar ist tot …, dachte ich wieder, Caspar ist tot.
    Der Gedanke folgte dem Rhythmus meines Herzschlages und half mir, mich zu beruhigen. Doch wie ich so steif dort stand, stieg Schwindelgefühl in mir auf. Ich hatte in der Nacht wegen des Albtraums zu wenig geschlafen, seit dem Frühstück noch nichts gegessen. Meine Finger begannen taub zu werden.
    Caspar ist tot … Caspar ist tot …
    Mein Herz schlug immer holpriger – und schmerzhafter. Es war, als würde eine Faust auf meine Brust schlagen. Ich wollte mich auf die Bank vor dem Haus setzen, doch der Schwindel wurde so stark, dass ich es nicht mehr bis dorthin schaffte. Stattdessen umkrampfte ich den Gartenzaun, stand nun dort, wo einst Caspar von Kranichstein gestanden hatte … damals, als er uns zum ersten Mal besucht, als er seine Hände auf Auroras Kopf gelegt hatte …
    Ich erinnerte mich nicht nur an diese Hände, sondern glaubte sie regelrecht zu spüren, glaubte ihn lachen zu hören, schrill und spöttisch, glaubte eine Stimme zu vernehmen, die mich verhöhnte.
    Du denkst doch nicht, ihr wäret mich los. Du denkst doch nicht, ihr wäret eine glückliche, kleine Familie und Aurora ein normales Kind.
    Der Schwindel übermannte mich. Das Bild vor meinen Augen zerstob in viele kleine Funken, ich fühlte, wie ich auf die Knie sackte, wie mein Kopf am Boden aufschlug, wie sich mein Körper ob dieses Schmerzes verkrampfte.
    Aurora, dachte ich, er darf Aurora nicht bekommen. Er darf die Nephila nicht in ihr

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