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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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doch nie gefunden, und meines Wissens nach kann man jemanden frühestens fünf Jahre nach seinem Verschwinden für tot erklären lassen.«
    Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, wer sich darum kümmerte und ob ein Verwandter von Caspar die Hände im Spiel hatte – womöglich ein Nephil wie er. Wer immer es verkaufte oder von einem Makler verkaufen ließ, hatte scheinbar kein Interesse an dem Besitz … und folglich auch kein Interesse an uns.
    Nathan beugte sich zu mir, fixierte mich mit seinen blauen Augen und streichelte mir liebevoll über die Haare. »Du machst dir keine Sorgen mehr, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf und lächelte schwach, obwohl es mir schwerfiel. »Ich mach mir keine Sorgen mehr«, erklärte ich mit lauter und fester Stimme. »Caspar ist tot … wir sind glücklich … Aurora geht es gut und sie verhält sich wie ein ganz normales Kind … Und dieser Schwächeanfall eben … das war nichts … gar nichts. Ja, wir sind glücklich.«
    Nathan beugte sich vor, küsste mich erst auf die Stirn, dann auf die Wangen, zuletzt auf die Lippen. Es waren sachte, zärtliche und so selbstverständliche Küsse. Ich gab mich ganz der Wärme hin, fühlte mich wohl und geborgen und nahm mir vor, weder an Caspar zu denken, noch an diesen Traum … oder die Vision. Doch als Nathan sich von mir löste, entging mir nicht, dass seine Stirn etwas gerunzelt war: Auch wenn er es mir ausreden wollte – irgendetwas verunsicherte ihn selbst zutiefst.
    Anstatt es zuzugeben, erklärte er jedoch vermeintlich gutgelaunt: »Wenn wir unseren Gästen heute Abend etwas auftischen wollen, müssen wir jetzt mit dem Kochen beginnen.«
     
    Nathan hatte viel zu viel eingekauft.
    Für gewöhnlich kochte er nur für uns drei, das hieß genau betrachtet nur für mich und Aurora. Für die zwei zusätzlichen Gäste hatte er so viel eingeplant, als würde eine halbe Kompanie bei uns zu Abend essen wollen.
    Anfangs war es mir sehr unangenehm gewesen, dass er so oft unsere Mahlzeiten zubereitete, obwohl er selbst keinen Nutzen daraus zog, doch er ließ es sich nicht nehmen, mich beim Haushalt auf jede nur erdenkliche Weise zu unterstützen, unaufdringlich und selbstverständlich und ohne jemals Dank einzufordern – ob es nun darum ging, den Rasen zu mähen, das Efeu zu schneiden, den Kamin im Wohnzimmer zu kehren, das kaputte Schloss vom Garagentor auszutauschen oder sich eben in der Küche zu betätigen.
    Er hatte die Einkäufe verstaut und alles zum Kochen vorbereitet. Doch bevor er damit begann, kam er zu mir, umarmte mich von hinten und hauchte einen Kuss auf meinen Nacken.
    »Du musst mir nicht helfen«, murmelte er. »Ruh dich aus, wenn du willst. Ich schaffe das auch allein.«
    »Das stimmt!«, lachte ich. »So schnell wie du bist, stehe ich dir ja ohnehin nur im Weg. Aber natürlich helfe ich dir! Womit willst du … wollen wir anfangen?«
    Wenig später dampfte, brutzelte, kochte, briet das Essen vor sich hin. Wir schnitten, pürierten, hackten und rührten einträchtig. Als Vorspeise würde es Kürbiscremesuppe mit Kernöl-Croutons geben, anschließend Feldsalat mit Entenbrust. Als Hauptgericht würden wir frischen Saibling aus dem Hallstättersee mit Petersilienkartoffeln servieren. So gerne ich Fisch aß, so unangenehm war mir der Anblick der bleichen Augen, als Nathan die Fische mit Papier von der Küchenrolle abtupfte, um sie dann auf ein Bett aus Salz zu legen und mit noch mehr Salz zu bedecken. Ich wandte mich ab, doch als Aurora in die Küche kam, blickte sie eine Weile halb mürrisch, halb fasziniert auf die toten Augen.
    »Das ist ja ekelhaft!«, stieß sie schließlich aus.
    Während sie auf die Fische starrte, wich sie meinem Blick beharrlich aus – und ich konnte nicht verhindern, dass ich mich wieder kaum merklich anspannte.
    Nathan bedeckte die toten Fischaugen mit Salz. »In der Salzkruste werden sie besonders saftig«, erklärte er.
    Aurora schüttelte empört den Kopf. »Keinen Bissen kriege ich davon runter!«
    »Du isst doch sonst so gerne Fisch«, meinte ich.
    »Das stimmt nicht«, erwiderte sie und klang irgendwie beleidigt, »nur wenn es unbedingt sein muss.«
    Nathan sagte nichts dazu, sondern stellte den Topf mit den Fischen in den Ofen. Wenn sie auch den Saibling in der Salzkruste nicht mochte, war ich mir sicher, dass sie vom Dessert begeistert sein würde. Als ich ihr die Schüssel entgegenhielt, in der ich gerade rührte – eine Kokoscreme, die später den eben gebackenen

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