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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Gesicht, das sich über mich beugte.
    »Sophie!«
    Meine Zunge fühlte sich zu geschwollen an, um etwas zu sagen, das Bild vor meinen Augen wurde nur langsam scharf. Als Erstes nahm ich den blauen Himmel wahr – und wurde von tiefer Erleichterung überflutet. Ich war nicht mehr gefangen, ich war frei, ich …
    »Sophie, um Gottes willen!«
    Ich hatte unwillkürlich gelächelt, als ich den Himmel wahrgenommen hatte, doch als ich in Nathans besorgtes Gesicht sah, wie er sich über mich beugte, wurde ich schlagartig wieder ernst. Er hatte seine Hand in meinen Nacken gelegt, versuchte, mich nun langsam aufzurichten.
    Vorsicht!, wollte ich ihm zurufen. Ich bin doch verletzt! Ich habe eine blutende Wunde am Hinterkopf!
    Doch dann fiel mir ein, dass ich nur im Traum verletzt gewesen war, nicht im wirklichen Leben. Es war doch ein Traum gewesen, oder?
    Die Erinnerung kehrte wieder zurück – an die schwarze Gestalt auf Caspars Anwesen, an Nathan, der losgegangen war, um nachzusehen. So kalt war mir plötzlich geworden, so schwindlig … und dann … dann musste ich einfach ohnmächtig geworden sein. Aber wenn man ohnmächtig war, träumte man doch nicht! War es also kein Traum gewesen – eher eine Art Vision? Eine Vision, die ankündigte, was mir in naher Zukunft drohte?
    Ich richtete mich auf, in meinem Kopf dröhnte es. Langsam begriff ich, dass viele Laute aus diesem Traum … oder dieser Vision aus der Wirklichkeit stammten: Jenes Geflüster, das nicht ganz menschlich geklungen hatte, war nur das Rauschen der Bäume im Wind gewesen. Und die Schritte, die ich gehört hatte, waren Nathans Schritte gewesen, als er von Caspars Anwesen zurückgekommen war.
    »Und?«, fragte ich atemlos. »Hast du dort oben irgendjemanden getroffen?«
    »Mein Gott, Sophie, als du hier reglos gelegen hast … ich dachte schon …«
    Bis jetzt stand ich auf ihn gestützt, nun machte ich mich von ihm los.
    »Nur mein schwacher Kreislauf«, sagte ich schnell, »und dieses wechselhafte Wetter. Mal heiß, mal kalt. Ich muss etwas essen. Und trinken, vor allem trinken. Aber was ist denn nun …«
    Kopfschüttelnd starrte Nathan mich an. »Das ist doch nicht normal, dass du so einfach umkippst! Wir sollten dich zum Arzt bringen, wir sollten …!«
    »Nathan, bitte!«, unterbrach ich ihn.
    Er ließ sich nicht stoppen. »Vielleicht hat es mit dem Einsturz der Tribüne zu tun. Vielleicht hast du dich verletzt, und …«
    »Das habe ich nicht, und das weißt du auch! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!«
    Ich wollte Nathan, der mich so besorgt ansah, nicht noch mehr beunruhigen, verschwieg ihm darum meine Vision und bedrängte ihn stattdessen erneut, mir mehr über diesen schwarzgekleideten Mann zu erzählen.
    Immer noch starrte er mich kopfschüttelnd an, doch in mein Gesicht musste etwas Farbe zurückgekehrt sein, denn schließlich beharrte er nicht länger darauf, mich zum Arzt zu bringen, sondern berichtete: »Offenbar hast du nur einen Immobilienmakler gesehen, der sich das Haus angesehen hat.«
    »Das Anwesen soll verkauft werden?«
    »Sieht so aus«, meinte er knapp.
    Schweigend gingen wir hinein. Nathan wollte mich weiterhin stützen, aber ich hob abwehrend die Hände und erklärte, dass es mir wieder gutginge – was auch stimmte. Das Dröhnen in meinem Kopf hatte nachgelassen, meine Zunge fühlte sich nicht mehr ganz so unförmig an; ich hatte mir, als ich auf den Boden gesackt war, keine Verletzungen zugezogen.
    In der Küche angekommen, schenkte er mir ein Glas Wasser ein, setzte frischen Kaffee auf, schmierte mir einen ganzen Berg Butterbrote und verlangte nachdrücklich, dass ich alles essen und trinken müsste, eher er mir mehr erzählte.
    Nein, erfuhr ich dann, er habe den Immobilienmakler nicht persönlich angetroffen, aber vor der Türe sei ein Schild von einem Makler angebracht gewesen – mit sämtlichen Kontaktdaten und dem Hinweis, dass das Anwesen zu verkaufen sei. Entweder hatte er das Haus selber noch einmal besichtigt oder einen potenziellen Käufer herumgeführt.
    »Wer verkauft es wohl?«, fragte ich mit vollem Mund. »Und warum erst jetzt?«
    Nathan zuckte mit den Schultern. »Das ist doch nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass es nicht Caspar gewesen ist, den du und Samuel Orqual gesehen habt. Caspar ist tot.«
    »Tot«, echote ich. »Seit fünf Jahren …« Mir kam eine Idee. »Vielleicht ist das der Grund, warum das Anwesen jetzt verkauft wird?«, schlug ich vor. »Ich meine – Caspars Leichnam wurde

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