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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Anwesen von …«, wollte ich ansetzen, doch sie meinte etwas anderes.
    »So ruckartig hat er sich schon seit Jahren nicht mehr bewegt!«, fuhr sie freudig erregt fort. »Vielleicht … vielleicht geht es endlich bergauf mit ihm!«
    Etwas skeptisch blickte ich auf Samuel, der nunmehr wie tot wirkte.
    »Dieser schwarze Mann …«, setzte ich wieder an. Ich musste mich an das Gartentor lehnen. Meine Knie bebten, sämtliches Blut war nach unten gesackt.
    Erst jetzt erkannte Susanne Orqual, dass sich nicht nur ihr Mann ungewohnt verhielt, sondern auch ich.
    »Sie sind ja leichenblass!«, rief sie erschrocken.
    »Ihr Mann … er hat auch irgendjemanden wahrgenommen … dort oben …« Meine Hände zitterten, als ich in die Richtung von Caspar von Kranichsteins Anwesen deutete.
    Nein, er hatte nicht irgendjemanden wahrgenommen. Sondern eine dürre, große Gestalt, mit schwarzem Mantel, schwarzen, glatt zurückgekämmten Haaren – und schwarzen Augen, die so tot wirken konnten und zugleich so lebendig funkeln, die einst voller Bösartigkeit auf mich gerichtet gewesen waren und zugleich voller Sehnsucht, die sich förmlich in meinen Gedanken gebohrt, sie sogar kurz beherrscht hatten, und die mir dennoch diesen tiefen Ekel, dieses Unbehagen vor ihm nicht hatten austreiben können. Ja, der Widerwille hatte sich als stärker erwiesen als diese gleichzeitig lähmende wie berauschende Wirkung seiner Präsenz.
    »Das Anwesen steht doch schon seit Jahren leer«, murmelte Susanna. »Ich hätte erwartet, dass sich bei dieser Lage rasch ein Käufer finden würde. Aber der Eigentümer war bislang offenbar nicht daran interessiert, es zu verkaufen. Scheint, dass er seine Meinung geändert hat. Kennen Sie ihn? Frau Richter? Sie sollten sich wirklich hinsetzen …«
    Langsam, ganz langsam hob ich wieder den Blick und sah hinauf zu Caspar von Kranichsteins Anwesen. Ich hielt den Atem an, glaubte, mein Herz müsste stehenbleiben, doch die Gestalt – sie war fort. Einfach verschwunden. Ganz ruhig lag das Anwesen da. Der Garten war etwas verwildert, die Hecke war lange nicht mehr gestutzt, der Rasen nicht gemäht worden, doch die Glasfenster waren sauber … erstaunlich sauber … obwohl das Anwesen doch seit Jahren leer stand.
    »In jedem Fall müssen wir jetzt aufbrechen …«, drang wie aus weiter Ferne Susannas Stimme zu mir durch.
    »Ja …«, murmelte ich abwesend und vergaß noch einmal, wegen Marians seltsamen Verhaltens beim Schulfest und seiner vermeintlichen Krankheit nachzubohren, »ja …«
    »Auf Wiedersehen!«
    Die Räder quietschten, als sie den Rollstuhl die Straße hinunter Richtung Wald schob.
    Nachdem sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren, blickte ich zum dritten Mal hoch zum Anwesen.
    Niemand war zu sehen.
    Ich atmete tief durch.
    Es kann nicht sein, sagte ich mir. Selbst wenn da wirklich jemand am Fenster gestanden hatte – unmöglich, dass es Caspar von Kranichstein gewesen ist! Caspar lebte nicht mehr! Der alte Widersacher von Nathan, ein Nephil wie er, doch einer der Schlangensöhne, der Feinde, die rücksichtslos mordeten und ihrer Gier folgten, derjenige, der mein Glück mit Nathan von Anfang an bedroht hatte, war seit fünf Jahren tot! Seine eigene Schwester Cara, die die Seiten gewechselt hatte, nicht nur eine Wächterin, sondern auch eine treue Freundin von Nathan geworden war, hatte ihn getötet!
    Immer wieder sagte ich mir das – aber konnte mich den Erinnerungen nicht entziehen. Nicht nur auf mich, eine der Auserwählten, mit denen die Nephilim Kinder zeugten, hatte Caspar es damals abgesehen, sondern auch auf Aurora – um sich an Nathan zu rächen und um sie wie ein eigenes Kind zu erziehen. Schauder überliefen meine Arme, als mir sein Gesicht plötzlich klar vor Augen erschien. Caspar hatte die hypnotische Wirkung einer Schlange auf mich ausgeübt oder auch einer Spinne, die langsam und meisterhaft ihr Netz webt, einer ganz eigentümlichen Ästhetik folgend, wonach das, was Tod verheißt, zugleich so wunderschön und anziehend ist. Ja, Caspar war grausam und herzlos – aber auch so vornehm, so elegant, so … präsent.
    Ich hatte mich ihm kaum entziehen können, und Aurora auch nicht – Aurora, deren Erbe Caspar seinerzeit zum Leben erweckt hatte, Aurora, die mich letzte Woche so eigentümlich angestarrt hatte, so wissend, aus so durchdringend blauen Augen. War es nur Zufall, dass so kurze Zeit später diese schwarze Gestalt dort oben aufgetaucht war? Oder hatte das eine mit dem

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