Der Fluch der Abendröte. Roman
dieser Temperatur wird der Fisch zu trocken!«
Trotz seines Lächelns entging mir nicht, dass er wieder seine Stirne runzelte. Ich hätte schwören können, dass das nichts mit der Temperatur des Backofens zu tun hatte, aber ich wusste, dass er das niemals zugeben würde.
»Ich gehe den Tisch decken«, erklärte ich schließlich und unterdrückte ein Schaudern, »wir haben nicht mehr viel Zeit, bis unsere Gäste kommen.«
Obwohl sie sich zuvor lautstark geweigert hatte, Fisch zu essen, langte Aurora beim Abendessen dann doch kräftig zu. Zwar schluckte sie ihre Bissen nur zögerlich, aber wie so oft nahm sie sich an Mia ein Beispiel, die gegen unsere Menüfolge nichts einzuwenden hatte und mit gutem Appetit aß. Mia war es auch, die die anfängliche allgemeine Verlegenheit spielerisch auflöste. Lukas war zwar der Einladung dankbar gefolgt, hatte mir bei der Begrüßung einen Strauß Sonnenblumen überreicht und eingewilligt, zum Du überzugehen, blieb danach aber ziemlich wortkarg. Dass er kein Mensch vieler Worte war, hatten schon frühere Begegnungen gezeigt – nun beantwortete er meine Fragen recht einsilbig und stellte selbst gar keine, so dass wir schon nach wenigen Minuten die meisten Gesprächsthemen abgehakt hatten: das Wetter, wie er aus Josephine Rüttings einstigem Lebensmittelladen die Wohnung gestaltet hatte und ob es ihm und Mia – nunmehr einige Monate nach ihrem Umzug – immer noch so gut in Hallstatt gefiel. Etwas hilflos überlegte ich, was ich noch ansprechen konnte, ohne an der Vergangenheit zu rühren und unfreiwillig etwas zu erwähnen, was mit dem Tod seiner Frau zu tun hatte.
Doch ehe mir ein unkompliziertes Thema einfiel, lenkte Mia das Gespräch auf Lukas’ Arbeit im Bergwerk, wobei er seine Zurückhaltung überwand und mit sichtlichem Stolz berichtete.
Schon als Kind hatte ihn die Arbeit im Inneren des Berges oder vielmehr in der »Teufe« fasziniert. Als dieses Wort zum ersten Mal fiel, kicherte Aurora los. Mia hingegen blieb ernst und erklärte besserwisserisch, dass dies der Begriff war, den Bergmänner für »Tiefe« benutzten.
Die Vorstellung, unter Tage zu arbeiten, von diesen mächtigen Gesteinsmassen umgeben und vom Tageslicht abgeschnitten zu sein, war mir bis jetzt eher unheimlich gewesen, aber Lukas war mit Leib und Seele Bergmann und konnte etwas von der Begeisterung für diese ganz eigene Welt und ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten vermitteln. Seine Arbeit als Bergmann hatte er im Salzbergwerk von Berchtesgaden begonnen – nun war er hier in Hallstatt tätig oder genauer gesagt in der Saline Ebensee. Warum er Berchtesgaden verlassen hatte, sagte er nicht – wahrscheinlich hatte es mit dem Tod seiner Frau und dem Wunsch nach einem Ortswechsel zu tun.
Die Saline Ebensee, so berichtete er auch, war das Stammwerk der Salinen Austria und der größte Salzgewinnungsbetrieb Österreichs.
»Aber das Salz wird doch in Hallstatt abgebaut, oder?«, fragte ich. »Warum befindet sich die Saline in Ebensee?«
»Eigentlich sagt man nicht in Hallstatt«, warf Mia altklug ein, »sondern in
der
Hallstatt.«
Bis jetzt hatte Aurora sich zurückgehalten, wenn Mia sich als Expertin gab – doch offenbar wollte sie nicht ständig als die Unwissendere dastehen. »Weil ›hal‹ das keltische Wort für Salz ist«, rief sie. »Hallstatt – das heißt eigentlich Salzstätte.«
Mia beugte sich eifrig vor: »Aus dem Berg gewinnt man zunächst nicht Salz, sondern Sole – und diese Sole wird durch die Soleleitung nach Ebensee in die Saline gebracht. Es ist ein ziemlich aufwendiges Verfahren, aus der Sole das Salz zu gewinnen. Das wird dann mit eigenen Salzzügen in ganz Europa ausgeliefert.«
Sie sprach mit einem so stolzen Blick auf ihren Vater, als würde Lukas das alles selbst und mit bloßen Händen machen, doch der schränkte lächelnd ein: »Mit den Transporten habe ich nichts zu tun. Ich gehöre zu den Technikern, die für die Soleleitung zuständig sind.«
Ich nahm einen Schluck Wein. »Ich muss gestehen«, gab ich zu, »dass ich bis jetzt keine Ahnung hatte, wie Salz gewonnen wird – obwohl wir nun schon so lange hier leben.«
Nathan sagte nichts – so wie er sich immer zurückhielt, wenn wir, was selten genug war, mit anderen Menschen zusammentrafen. Er wusste wahrscheinlich mehr über Salz und Bergbau als Lukas – wie er dank seiner 800-jährigen Lebenserfahrung bei fast jedem Thema mehr wusste als der Rest der Welt –, doch um nicht besserwisserisch zu wirken
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