Der Fluch der Abendröte. Roman
Regenwolken förmlich zwischen den Bergspitzen eingesperrt zu sein schienen. Schon mit dem nächsten Blitz rissen die Wolkenberge auf, und eine Flut kalter Tropfen ging auf uns herab. Gerade noch rechtzeitig stürzten Aurora und ich ins Haus. Riesige Tropfen klatschten auf die Fenster. Obwohl die Eingangstür nur kurz offen gestanden hatte, hatten sich die Teppichfransen im Flur mit Regenwasser vollgesogen. Dennoch fiel es mir schwer, die Tür hastig hinter uns zuzuschlagen. Irgendwo da draußen inmitten von Donner, zuckenden Blitzen und Regen war Nathan. Ich wusste – das Gewitter sollte meine geringste Sorge sein, selbst wenn er sich im Freien aufhielt, würde er nicht sonderlich frieren, aber wegen des Unwetters musste ich mir endgültig eingestehen, was ich längst ahnte: Er war nicht einfach nur zu einem langen Spaziergang oder zu irgendwelchen Erledigungen aufgebrochen. Wenn es so wäre, wäre er spätestens jetzt zurückgekehrt.
»Die Fenster!«, rief Aurora. »Hast du alle Fenster geschlossen?«
Bei einem früheren Unwetter hatten wir einmal nicht daran gedacht, dass ein Dachfenster noch gekippt war. Der Regen hatte den Dachboden überschwemmt, und wir mussten danach den Boden erneuern lassen.
»Bleib hier unten!«, befahl ich knapp. Das Haus hatte zwar seit kurzem einen Blitzableiter, aber wir waren von hohen Bäumen umgeben. Falls einer auf das Dach kippen würde, waren wir im Erdgeschoss am sichersten.
Während Aurora wartete, stürmte ich nach oben, eilte von Zimmer zu Zimmer und prüfte, ob auch alle Fenster geschlossen waren. Die dunklen Wolkentürme am Himmel waren fleckchenweise von einem Schwefelgelb durchsetzt. Ob zum Gewitter auch noch Hagel kommen würde? Sollte ich das Auto in die Garage fahren?
Als ich nach unten kam, war von dem gelben Licht nichts mehr zu sehen. Wenn nicht gerade Blitze den Himmel durchzuckten, war es stockdunkel.
»Warum hast du denn kein Licht angemacht?«, fragte ich Aurora ungeduldig – und erkannte bald selbst den Grund, als ich nach dem Lichtschalter tastete und ihn vergeblich ein paar Mal drückte. Der Strom war ausgefallen.
Aurora hatte steif am Wohnzimmerfenster gestanden, nun huschte sie an mir vorbei. »Ich hole ein paar Kerzen aus der Küche.«
»Sie müssen in der obersten Schublade sein, aber ich habe keine Ahnung, wo wir ein Feuerzeug …«
Ich brach ab. Kurz war es taghell, als wieder ein Blitz den Himmel zerriss: Ich sah, wie die Bäume rund um das Haus wogten, wie Regen und Wind die Blätter abrissen, sie auf die Fenster zugepeitscht wurden und dort kleben blieben. Vor allem aber sah ich Aurora, die plötzlich erstarrt und nicht weit von mir entfernt stehen geblieben war.
»Aurora?«, fragte ich.
Schweiß perlte über meine Stirn, doch zugleich kroch Kälte über meinen Rücken.
»Da draußen ist jemand.«
Sie sprach ganz leise, kaum hörbar. Zwar war im Moment kein Donner zu vernehmen, aber der Regen prasselte laut aufs Fenster.
»Was?« Ich eilte zu ihr. »Was sagst du da?«
Als ich ihre Schultern umfasste, spürte ich ein Zittern. War ich es, die bebte, oder sie?
»Da draußen ist jemand«, wiederholte sie.
»Nathan!«, stieß ich hoffnungsvoll aus. »Vielleicht ist es Nathan …«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, ich glaube, es ist …« Die restlichen Worte gingen im Grollen unter. Es klang, als würden die Berge sich erst ausdehnen, dann verkrampfen. Ich stürzte zum Fenster, wartete auf den nächsten Blitz, sah dann, als das gleißende Licht den Himmel zerriss, wie etwas Schwarzes durch unseren Garten huschte. Ehe ich etwas Genaueres erkennen konnte, wurde es wieder dunkel. Entsetzt schrie ich auf – Aurora hingegen blieb stumm.
Ich starrte in die Dunkelheit. Blut rauschte in meinen Ohren – nicht minder laut als der Regen. Der nächste Blitz ließ nicht lange auf sich warten, und auch wenn ich diesmal keine schwarze Gestalt ausmachen konnte, schien der Garten irgendwie bedrohlich. Die Gartenmöbel, die noch draußen standen, glichen geduckten Gestalten, die dunkle Hecke einer Mauer, die uns von der übrigen Welt abschnitt, die wogenden Äste wie Arme, die nach uns griffen.
»Ich … ich schließe die Fensterläden«, erklärte ich.
Doch die Läden zu schließen bedeutete, zuerst die Fenster zu öffnen, mich hinauszubeugen, die Läden zu fassen, sie zuzuziehen. Aber selbst wenn ich das tat, würde man durch die Balkontür immer noch nach draußen blicken können und zu uns herein.
Schon als ich beim ersten Mal den Kopf
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