Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
meiner Albträume gefangen.
    Sie starrte in die schwarzen Augen ihres Entführers. Sie wusste immer noch nicht, wer sie war, wie sie hieß, warum sie gefangen gehalten wurde. Aber sie wusste, wer er war. Sie schrie, bis sie keine Luft mehr hatte, aber sie konnte mit ihrem verzweifelten Schrei die Wahrheit nicht verdrängen. Der Mann beugte sich nun noch tiefer über sie, starrte sie unverwandt an – nein, er war kein Mann … er war kein Mensch, wie seine leblosen Augen verrieten.
    Es war nicht nur dieser Blick, der ihr zusetzte – von diesem Wesen schien vielmehr etwas Düsteres auszugehen, das sie einhüllte, an ihr kleben blieb, sie erstickte.
    Nein, er war kein Mensch …
    Diese Wahrheit war messerscharf. Sie schien jeden Gedanken in ihrem Kopf, jedes Gefühl in ihrer Seele zu zerhacken, ließ nichts übrig als Grauen, so tief und verzehrend wie die Schwärze seiner Augen.
    Ihr Entführer war ein Unsterblicher. Er stammte von jenen gefallenen Engeln ab, die sich einst, vor vielen tausend Jahren, mit Menschentöchtern gepaart und eine eigene Rasse gezeugt hatten, die neben den Menschen die Welt bevölkerten. Die Rasse der Nephilim.
    Und er gehörte nicht zu jenen, die sich als Fehler, als Missgriff der Natur verstanden, die sich Wächter nannten und alles dafür taten, damit die Menschheit vor den Übergriffen der Nephilim bewahrt blieben. Nein, er sah sich als Krönung der Schöpfung. Er war einer der Schlangensöhne. Der Awwim. Und sein Lebensziel war es, Menschen entweder zu vernichten oder zu unterwerfen – und jeden Wächter zu töten, der sich ihm dabei in den Weg stellte. Und indem er Menschen und Wächter tötete, konnte er seine Kräfte und Fähigkeiten potenzieren, immer schneller, kräftiger, geschickter, klüger, vielseitiger werden.
    »Was ist?«, fragte er plötzlich. »Willst du es nicht wenigstens versuchen?«
    Seine Stimme klang wie das Zischen einer Schlange. Sie verstand diese Worte und doch wieder nicht. Was sollte sie versuchen? Ihn um Gnade anzuflehen? Sich gegen ihn zu wehren? Sich irgendwie zu befreien? Unmöglich! Dass er bis jetzt so grob mit ihr umgegangen war, bewies, dass er nichts Gutes mit ihr im Sinn hatte. Er würde sie zerstören, würde sie zermalmen, abschlachten, er würde …
    Ihre Gedanken gerieten ins Stocken. Er tat nichts dergleichen, er starrte sie einfach nur an und sprach wieder die zischelnden Worte.
    »Nun versuch es doch!« Es klang höhnend. »Mach schon! Streng dich an! Versuch doch wenigstens zu fliehen!«
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Es ist dir doch wieder eingefallen, wer du bist, nicht wahr?«, fragte er lauernd.
    Wieder schüttelte sie den Kopf, heftiger nun, nicht nur um seine Frage zu verneinen, vielmehr um das zu unterdrücken, was plötzlich in ihr hochstieg. Nicht nur das Wissen um seine Existenz. Sondern auch das Wissen um ihre eigene. Dieses Wissen war bedrohlicher als das Verlies, in dem sie hockte. Diesen Ort konnte sie vielleicht irgendwann wieder verlassen. Aber sie würde nie vor sich selber davonlaufen können, wenn sie sich erst einmal eingestanden hatte, wer sie war.
    »Nein!«, schrie sie. »Nein!«
    Sie verstummte genauso wie der Nephil, auch die andere Gefangene gab keinen Mucks von sich. Nichts war zu hören, rein gar nichts. Die Stille war absolut. Doch dann setzte plötzlich ein Rauschen ein, zaghaft zuerst, dann immer eindringlicher. Es klang, als würde ein Sturm aufziehen, dessen Windstöße sich nach und nach in gewaltige Böen verwandelten. Dieses Rauschen, dieser Sturm kündeten von einer gewaltigen, besitzergreifenden Macht – einer Macht, die sie packte, hochriss und sie dann wieder auf den Boden schleuderte. Sie prallte mit dem Kopf auf den kalten Stein, spürte, wie ihre Wunde wieder aufplatzte. Doch da war kein Schmerz, da war nur diese Macht, fremd und vertraut zugleich. Sie ging nicht von dem Nephil aus, wie sie kurz glaubte. Diese Macht kam aus ihr selbst.
    Ich schlug die Augen auf und wusste nicht, wo ich war. Erst einige orientierungslose Augenblicke später erkannte ich, dass ich neben dem Bett im Schlafzimmer lag. Hatte meine Ohnmacht die Vision erst ausgelöst? Oder war ich wegen dieser Vision ohnmächtig geworden?
    Ich wusste es nicht, wusste nur, dass ich dieses bedrohliche Rauschen immer noch hören, diese Panik, als ich in die schwarzen Augen blickte, die Wucht, als ich von unsichtbaren Kräften auf den Boden geschleudert wurde, immer noch spüren konnte. Ich richtete mich auf, sah Nathans

Weitere Kostenlose Bücher