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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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für mich war sie so wichtig gewesen. Ich weiß nicht, wie ich die ersten Jahre mit Aurora ohne sie und ihre Unterstützung überstanden hätte. Doch seit den Ereignissen vor fünf Jahren und seit Nathan und ich wieder zusammenlebten, war es fast unmöglich, die Distanz zu überbrücken, die sich zwischen uns aufgetan hatte – nicht zuletzt wegen des Geheimnisses um Nathans Existenz.
    »Du willst mit Aurora also zu mir kommen«, stellte sie ruhig fest, um dann fast trotzig hinzuzufügen: »Warum?«
    Ich biss mir auf die Lippen. Nachdem ich mich monatelang so gut wie gar nicht bei ihr gemeldet hatte, schien mir eine Lüge ein schlechter Neuanfang zu sein, aber ich konnte unmöglich auf eine solche verzichten. »Wir hatten einen Wasserrohrbruch«, erklärte ich schnell, »seitdem herrscht hier absolutes Chaos, und es wird mindestens eine Woche dauern, bis wir wieder in der Villa wohnen können. Ich könnte natürlich auch in ein Hotel gehen. Aber dort ist es so unpersönlich. Und wie gesagt: Aurora würde dich so gerne wiedersehen, und ich natürlich auch.«
    »Aber du denkst nicht daran, Nathan mitzubringen?«, zischte sie mit unverhohlenem Ärger.
    In den letzten fünf Jahren war es ihr kein einziges Mal gelungen, ihre tiefe Ablehnung Nathan gegenüber zu verbergen. Sie verstand einfach nicht, warum ich ihn, wie sie es ausdrückte, »zurückgenommen« hatte. Nathan war und blieb in ihren Augen der herzlose Schuft, der mich einfach hatte sitzenlassen, als ich mit Aurora schwanger gewesen war, und der sich ganze sieben Jahre lang kein einziges Mal gemeldet hatte. So ein Mann, hatte sie oft im Brustton der Überzeugung verkündet, sei für sie gestorben – ein für alle Mal, für immer und ewig.
    Immerhin entnahm ich ihrer Frage, dass sie nicht abgeneigt war, uns aufzunehmen.
    »Nein, Nathan kommt nicht mit«, erklärte ich leise und fragte mich, wie sie wohl auf sein neuerliches spurloses Verschwinden reagieren würde. Mit noch mehr Verachtung – obwohl das eigentlich schon gar nicht mehr möglich war? Oder mit Genugtuung, weil ich für meine Naivität nun endlich den Preis zahlen musste?
    Kurz kam mir ein schrecklicher Gedanke.
    Vielleicht hat sie recht, durchfuhr es mich. Vielleicht war es naiv … leichtgläubig … dumm zu glauben, jemand könnte sich grundlegend ändern. Und vielleicht war es noch naiver zu denken, das Glück der letzten Jahre würde ewig dauern. Vielleicht war all das, was geschah, nur die gerechte Strafe … für meine Blindheit … meine Gleichgültigkeit.
    Die dunklen Gedanken brachen über mir zusammen wie eine große Welle. Ich konnte mich nicht rechtzeitig wegducken. Die Sorgen, die von all den Träumen und zuletzt Nathans Brief hervorgerufen worden waren, spülten uralte Ängste in mir hoch: Dass ich nicht gut genug war. Nicht für Aurora. Und nicht für ihn.
    Wie von weither riss mich Neles Stimme aus der Düsternis. »Sag, hörst du überhaupt zu? Ich beschreibe dir gerade den Weg zu meiner Wohnung!«
    Ich versuchte, mich zusammenzureißen.
    »Ich weiß doch, wie man zu dir kommt!«, verteidigte ich mich schwach.
    »Das glaubst du … aber von wegen!«, rief sie. »Ich bin nämlich umgezogen!« Auf die hörbar stolzen Worte folgte ein kleines beruhigendes Lachen. Nele arbeitete immer noch als Kinderpsychologin – mittlerweile in einer eigenen Praxis, die sehr gut lief. »Glaub ja nicht, dass ich dich aus purer Selbstlosigkeit aufnehme. Du musst nämlich unbedingt meine neue Wohnung bewundern. Eigentum natürlich. Sie liegt in Anif, stell dir vor, mit Blick auf den Gaisberg. Ein völlig unverbautes Gebiet. 110 Quadratmeter, zwei Terrassen, eigenes Gästeklo und …«
    Ich hörte an ihren Worten vorbei, schrieb mir später nur geistesabwesend die Adresse und die Wegbeschreibung auf. Meine Finger fühlten sich wie taub an, aber dennoch überwog die Erleichterung kurz die dunklen Gedanken.
    Nele nahm uns auf … das war fürs Erste das Wichtigste.
     
    Als ich in die Küche kam, saß Aurora schon am Tisch. Es war erst kurz vor sieben, wie ich mit einem raschen Blick auf die Küchenuhr feststellte, doch sie war schon fertig angezogen und frisiert, und sie hatte sich selbst einen Kakao gemacht – so wie gestern.
    »Was … was machst du denn schon hier?«, fragte ich entgeistert.
    Sie rührte in ihrer noch vollen Tasse. Scheinbar hatte sie noch keinen Schluck getrunken. »Ich konnte nicht mehr schlafen«, murmelte sie.
    Ich sah sie mir genauer an, nahm wahr, wie blass sie war und

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