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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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abenteuerlustiges Kind so wie Mia – und nicht zuletzt die Erleichterung darüber brachte mich zum Nachgeben.
    »Wir sind wirklich bald wieder zurück«, bekräftigte Lukas noch einmal. Ich fuhr noch einmal durch Auroras Haare, dann lief sie schon zum Wagen, und wenig später waren die drei eingestiegen und davongefahren.
    Ratlos stand ich eine Weile neben dem Auto. Nach der Hektik des Aufbruchs fühlte sich dieser erzwungene Stillstand irgendwie … verboten an. Ich musste irgendetwas tun! Ich konnte doch nicht einfach noch mehr Zeit verstreichen lassen!
    Aber mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten und tief die frische Morgenluft einzuatmen. Nach dem gestrigen Gewitter war der Himmel zwar klar, doch er zeigte sich nicht in einem strahlenden Herbstblau, sondern in einem blassen Grau. Zwischen den Berggipfeln wurden Wolken hindurchgetrieben und verdichteten sich, allerdings nicht drohend schwarz wie gestern, sondern schmutzig weiß. Feuchtigkeit stieg von den tiefen Pfützen auf und kräuselte mein Haar. Ich lauschte konzentriert, hoffte, bald wieder Lukas’ Auto zu hören. Doch nichts. Die einzigen Autos, die man hörte, waren die, die weit entfernt auf der Bundesstraße vorbeirauschten.
    Die Zeit verging, ich unterdrückte meine Nervosität, versuchte mich zu entspannen. Starr blickte ich auf die Pfützen, hob erst wieder den Kopf, als ich etwas hörte, kein näher kommendes Autos, wie ich kurz hoffte … sondern ein Rascheln … nein, kein Rascheln, eher ein Raunen, ein Flüstern.
    Sophie …
    Ich drehte mich hektisch nach allen Seiten um, doch weit und breit war niemand zu sehen. Hatte ich wieder eine dieser merkwürdigen Visionen? Träumte ich, obwohl ich wach war? So überreizt und unausgeschlafen wie ich war, war das bestimmt kein Wunder. Ich stand nun wieder ganz steif, konzentrierte mich, vernahm das Rauschen meines eigenen Blutes, mein Herzklopfen, und dann wieder …
    Sophie …
    Nun war ich mir sicher, meinen Namen gehört zu haben. Keineswegs sicher war ich allerdings, wer ihn mir zuraunte.
    Wieder ging mein Blick hinauf zu Caspars Anwesen. Obwohl ich insgeheim damit rechnete, stand keine schwarze Gestalt am Fenster. Etwas anderes irritierte mich allerdings umso mehr: Eines der Fenster war gekippt.
    Ich schüttelte den Kopf. Kein Grund zur Beunruhigung, versuchte ich mir einzureden, hieß es doch, der neue Besitzer würde in dieser Woche einziehen, natürlich würde er das Haus zunächst durchlüften …
    Unruhig rieb ich meine Hände aneinander. Auch wenn es viele vernünftige Erklärungen für das gekippte Fenster geben konnte – sie würden mich erst dann beruhigen, wenn ich mich selbst vergewissert hatte, dass dort oben alles in Ordnung war und kein Caspar von Kranichstein mich heimlich beobachtete.
    Ich ging, nein, ich lief los und rammte meine Hacken förmlich in den Boden – um mir selbst meine Entschlossenheit zu beweisen, aber auch dem unsichtbaren Beobachter, der eben meinen Namen geraunt hatte …
     
    Totenstille begleitete mich auf dem Weg dorthin – und dieselbe Totenstille empfing mich dort auch. Eine Art Bann schien auf dem Anwesen zu liegen, der verhinderte, dass sich irgendetwas Lebendiges dorthin verirrte. Da war kein Vogelgezwitscher, kein Klang ferner Stimmen; der Wind wagte nur zu flüstern, und der Himmel schien sich zu verdunkeln – nicht wie gestern vor dem Gewitter, wo alles auf die explosive Entladung der Himmelsgewalten zugelaufen war, sondern eher so, als würde die Welt langsam unter einer farblosen Schicht gefrieren. Vor dem Eingang blieb ich stehen, suchte auf dem matschigen Boden nach Spuren – doch nichts war zu sehen: weder Abdrücke von Reifen noch von Schuhen. Schon aus der Ferne hatte das Anwesen ein wenig verwahrlost gewirkt, doch aus der Nähe waren erst recht alle Spuren der Zeit zu sehen, die daran genagt hatten. Nicht nur die Gartenhecke war ungehindert nach allen Seiten gewachsen, auch der Efeu wucherte wild um die Eingangstür, deren weiße Farbe abgeblättert war. Was mich allerdings noch mehr irritierte, war, dass diese Tür nicht verschlossen war, sondern offen stand – zwar nicht einladend offen, sondern angelehnt, aber eben nicht verschlossen. Ich zögerte, hielt nach einer Klingel Ausschau, aber erblickte keine. Wahrscheinlich hatte Caspar von Kranichstein es nicht für notwendig gehalten, eine solche anbringen zu lassen – empfing er einst doch nur den, den er auch erwartete. Ich klopfte an die angelehnte Tür, und obwohl ich es

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