Der Fluch der Abendröte. Roman
Mammuthöhle warben, unleserlich. Normalerweise standen vor den Kassen Schlangen von Touristen und Schülergruppen, nun war ich sofort an der Reihe. Mürrisch fragte der Ticketverkäufer mehrmals nach, ob ich wirklich nur die Fahrt mit der Gondel kaufen wollte, nicht auch das Kombiticket für die Besichtigung der Höhlen. Ich musste das mehrmals bestätigen und erklären, dass ich zur Dachsteinlodge wollte – woraufhin er, weiterhin mürrisch, verkündete, dass ich die Gondel bei der Mittelstation wechseln müsste und dass mir oben nicht viel Zeit bliebe, da die letzte Gondel zum Tal schon in knapp zwei Stunden fahren würde.
»In Ordnung«, murmelte ich.
Die Gondel war fast leer und der übliche Ruck, den sie machte, wenn sie losfuhr, noch stärker zu fühlen. Meistens ging bei diesem Ruck ein Aufkreischen durch die Gondel, doch heute blieb es ruhig. Wehmütige Erinnerungen stiegen in mir auf, als es immer höher den Berg hinaufging. Das letzte Mal, als ich mit dieser Gondel gefahren war, hatte ich dicht an Aurora und Nathan gedrängt gestanden. Zwar hatte Aurora schon einmal mit Cara die Eishöhle besucht, doch daran hatte sie, wie an so viel anderes, keine Erinnerung mehr gehabt und hatte darum aufgeregt und ungeduldig die Ankunft an der Mittelstation erwartet.
Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu verdrängen und nicht von Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit überwältigt zu werden. Als ich aufblickte, musterte mich eine Frau skeptisch.
»In der Höhle ist es ziemlich kalt«, erklärte sie streng. »Sie holen sich eine Erkältung, wenn Sie so dort reingehen. Einen Schal und eine Mütze bräuchten Sie – und Handschuhe.«
»Ich will nicht in die Höhle«, sagte ich schnell, aber schloss zumindest meine Jacke und starrte dann an der Frau vorbei nach draußen. Wir schienen auf einem weichen Nebelmeer zu schweben, aus dem nur einzelne Baumspitzen herausstachen.
Als ich an der Mittelstation ausstieg, fror ich augenblicklich. Leichte Übelkeit stieg in mir hoch. Ich wechselte die Gondel, musste ein paar Minuten auf die Weiterfahrt warten. Das Gelächter einiger Touristen, die zur Höhle aufbrachen, drang an mein Ohr. Als die Gondel endlich losfuhr, sah ich von oben eine Familie, die an einem Holztisch picknickte und unbeeindruckt vom schlechten Wetter eine Thermoskanne und Butterbrote auspackte. Dann war niemand mehr zu sehen. Je höher es den Berg hinaufging, desto dichter wurde der Nebel und dämpfte alle menschlichen Laute.
Wie Rauch stieg er vom Boden auf, und die Wiesen waren so grau, als wären sie von Asche bedeckt. Die Welt hier oben schien das Atmen vergessen zu haben.
Erhaben und ehrfurchtgebietend ragten hier bei schönem Wetter die Berge auf. Doch nun war da nichts weiter als die Ahnung von Schatten. Die stolzen Gipfel schienen ihre Form verändert zu haben, als hätte das dampfende Grau den ewigen Stein erweichen lassen. Dies hier war keine Welt mehr mit klaren Formen und Strukturen. Hier zerlief alles zu einem undurchsichtigen Einerlei.
Als die Gondel den Berggipfel erreicht hatte und ich ausstieg, war das Licht so trüb, dass ich weit und breit keine Dachsteinlodge erblicken konnte. Allerdings gab es nur einen einzigen Weg, der von der Gondelstation wegführte, und obwohl er schlammig war und bald Feuchtigkeit durch meine Schuhe drang, ging ich entschlossen weiter.
Bald hatte ich das Gefühl, geradewegs ins Nichts zu laufen. Immer schmaler wurde der Weg. An seinem Rand standen ein paar Blumen, von einem schneidenden Wind geknickt, dessen Pfeifen wie ein Höhnen klang: Alles, alles, was wächst und blüht, muss irgendwann vergehen, schien er zu spotten. Ewig war nur das Gletschereis hinter dem grauen Schleier.
Schritt für Schritt ging ich weiter. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, wusste hinterher nicht mehr, ob ich nur ein paar Minuten unterwegs gewesen war oder Stunden. Obwohl es nicht bergauf ging, keuchte ich vor Anstrengung. Mein Gesicht wurde nass vor Dunst und Schweiß. Und dann ragte plötzlich etwas Dunkles, Eckiges vor mir auf. Ich war angekommen.
Es war ein einfaches, zweistöckiges Gebäude, auf das ich gestoßen war und um das ich nun einmal herumging. Von der Aussichtsplattform, die sich unmittelbar davor befand, konnte man an sonnigen Tagen gewiss einen herrlichen Ausblick ins Tal genießen, doch nun starrte ich geradewegs in die graue Nebelwand. Noch stärker als der kalte, feuchte Wind zerrte eine fürchterliche Trostlosigkeit an mir. Endlich war ich in der
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