Der Fluch der Abendröte. Roman
irgendetwas tun!
Während er sich bis jetzt kaum zu rühren gewagt hatte, um das Läuten des Telefons nicht zu verpassen, sprang Lukas plötzlich auf und ging unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Er ertrug es offenbar genauso wenig wie ich, untätig zu bleiben, doch während ich nüchtern zu überlegen versuchte, was ich nun tun sollte, schlug seine Unruhe in blinden Aktionismus um. Er fragte, ob ich einen Kaffee trinken wollte, und noch ehe ich antworten konnte, stürmte er in meine Küche. Ich hörte ihn rumoren, folgte ihm schließlich und beobachtete ihn von der Türschwelle aus. Er brauchte eine Weile, bis er sich zurechtgefunden hatte, und verschüttete etliche Kaffeebohnen, als er sie in die Maschine füllte – in die Maschine, die ich von Nele geschenkt bekommen hatte, Nele, der ich unbedingt absagen musste, weil sie uns doch in Salzburg erwartete.
Gedankenverloren griff ich nach meinem Handy, und nachdem ich Nele eine knappe SMS geschrieben hatte, folgte ich spontan einer Eingebung und wählte Caras Nummer.
Anstelle des erhofften Läutens ging sofort die Mailbox an, auf der Cara mit ausdrucksloser Stimme verkündete, dass sie nicht zu erreichen wäre.
Nachdenklich starrte ich das Display des Handys an. Wie merkwürdig …
Es gab vielleicht eine gute Erklärung dafür, dass Nathan sie vor zwei Tagen nicht erreichen konnte – aber warum ging sie jetzt immer noch nicht an ihr Handy? Zumal sie ja im Display gesehen haben musste, dass Nathan mehrmals angerufen hatte.
Ich wartete zehn Minuten ab, Lukas brachte den Kaffee ins Wohnzimmer, doch anstatt zu trinken, ging er wieder unruhig auf und ab. Ich wählte erneut Caras Nummer – und wieder war nur die Mailbox dran.
Oh, Cara, seufzte ich innerlich, wo bist du? Ich brauche dich doch so sehr!
Cara wüsste vielleicht, wo Nathan war, könnte Aurora aus der Hand der Entführer befreien, könnte ihr beistehen wie damals, als die Nephila zum ersten Mal in ihr erwacht war …
Lukas blieb abrupt stehen. »Ich … ich halte es nicht mehr aus«, brach es aus ihm heraus, »wir müssen etwas tun.«
Ich nickte. »Ich … ich …«, erst kam nur Stammeln über meine Lippen. »Ich habe eine Idee … aber …«
Ich wich seinem Blick aus.
»Was? Sag schon! Was willst du tun?«
»Das kann ich dir nicht sagen, du musst mir vertrauen … und du musst unbedingt hier warten … falls sich jemand meldet. Und außerdem solltest du dich lieber hinlegen … denk an deine Verletzungen …«
»Das ist nichts!«
»Trotzdem! Sicher ist sicher! Und du musst hierbleiben! Ich kann es dir wirklich nicht sagen, aber ich …«
Während ich noch redete, hatte ich meine Schuhe angezogen und war in meine Jacke geschlüpft. Lukas beobachtete mich misstrauisch.
»Was hast du vor?«
»Bitte … bitte vertrau mir! Ich kann es dir nicht sagen, wirklich nicht.«
Ja, ich konnte es ihm nicht sagen – aber zugleich konnte ich es auch mir selbst nicht eingestehen, konnte die Idee nicht laut aussprechen, die sich da plötzlich in meinem Kopf festgesetzt hatte. Es war eine verrückte, absurde Idee! Aber ich wollte nichts unversucht lassen!
»Warte hier auf mich!«, beschwor ich ihn. Ich griff mir einfach den Schlüssel seines Autos, ohne ihn zu fragen, und er erhob keinen Einwand, sondern starrte mir verständnislos nach, als ich nach draußen lief.
Ich stieg in das Auto, startete den Motor, gab Gas. Erst nach einigen hundert Metern blieb ich am Straßenrand stehen und kramte in einem Seitenfach nach der Straßenkarte.
Caspars Anwesen … das Buch über den Dachstein … die Lodge … vielleicht war das alles nur Zufall … vielleicht war es aber wirklich ein Zeichen. Ein Zeichen, dass er noch lebte. Und ein Hinweis, wo er zu finden war.
Ich studierte die Straßenkarte, um herauszufinden, wie ich am schnellsten zur Dachsteinseilbahn kommen konnte, legte sie dann zur Seite und trat wieder aufs Gas.
Nach dem gestrigen Gewitter war der Himmel klar, doch nun stieg Dunst vom Boden auf. Er verdichtete sich immer mehr, so dass ich – obwohl es mitten am Tag war – die Scheinwerfer anmachen musste, doch selbst dann konnte ich kaum mehr sehen als vage Konturen hinter einem grauen Schleier. Immer erstickender hatte er sich um die Welt gelegt, als ich endlich die Talstation der Dachsteinseilbahn erreichte. Der Nebel schien sich zwischen den Bergen förmlich zu stauen. Der Parkplatz vor der Seilbahn war fast leer, die großen Plakate, die für die Besichtigung von Eis- und
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