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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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verdunkelte sich das eben noch ausdruckslose Gesicht.
    »Sag mir nicht, was ich fühle!«
    Ich gab nicht auf. »Auch wenn ich dir gleichgültig bin – Aurora ist es nicht. Du wolltest sie damals auf die Seite der Schlangensöhne ziehen! Du wolltest sie zu deinem Kind machen! Das war damals das Wichtigste für dich – und jetzt soll es plötzlich keine Bedeutung mehr haben?«
    »Plötzlich? Das ist fünf Jahre her!«
    »Was sind fünf Jahre für einen wie dich! Du lebst seit Jahrhunderten auf dieser Welt!«
    Er hatte sich leicht abgewandt. »Lange genug, um zu wissen, dass sich manche Kämpfe nicht lohnen.«
    »Welche Kämpfe? Dein Kampf gegen Nathan? Oder der Kampf der Alten? Du hast einen Streit der Alten erwähnt – hat er mit Nathan zu tun?«
    Der Ärger war aus seinem Gesicht geschwunden. »So viele Fragen«, murmelte er, »und so wenig Antworten …«
    Er zuckte mit den Schultern, und ich dachte schon, er würde mich einfach stehen lassen. Doch dann murmelte er: »Wenn ich es recht verstehe, hast du auch gekämpft. Nicht nur gegen mich. Sondern dafür, dass Aurora ein normales Kind bleibt.«
    Er sprach die Worte so aus, als wären sie eine schlimme Beleidigung. »Schade …«, fügte er hinzu, »schade für dich, dass es nicht geglückt ist.«
    Mir stockte der Atem. »Was weißt du über sie?«, brach es aus mir hervor.
    In seinen schwarzen Augen blitzte es auf, aber dann senkte er rasch seinen Blick. »Nichts weiß ich … gar nichts. Ich ahne es nur – ahne, dass man eine Nephila, wie sie in Aurora schlummert, nicht so einfach unterdrücken kann. Damals auf der Felsspitze, als sie den Kampf zwischen Nathan und mir entschieden hat … hat sie sich als so stark erwiesen … viel stärker als die meisten erwachsenen Nephilim …«
    Er schien den Erinnerungen nachzuhängen, beinahe wehmütig nun, weil dieser Augenblick, auch wenn er zu seinem endgültigen Scheitern geführt hatte, ein starker Augenblick gewesen war, ein Moment ohne Halbheiten, ein Moment der Entscheidung. Auch ich konnte mich deutlich daran erinnern, wie Aurora da in ihrem dünnen Kleid im Morgenlicht gestanden, wie sie Caspars Namen gerufen und ihn allein kraft ihrer Stimme zu einer willenlosen Marionette gemacht hatte. Sie hatte ihm für einen kurzen Moment die Gewalt über seinen eigenen Körper genommen, und so hatte er von Nathan überwältigt werden können.
    »Diese Macht, die sie damals hatte«, fuhr er fort, »kann man nicht ablegen wie ein altes Kleid. Ich verstehe, dass du das vielleicht gehofft hast. Aber ich verstehe nicht, dass Nathan das nur einen Augenblick lang glauben konnte. Hat er in all den Jahren denn nie etwas angedeutet?«
    »Was soll er angedeutet haben?«
    Ungeduldig verdrehte er die Augen. »Ach, Sophie«, meinte er, ohne auf meine Frage zu antworten: »Nur weil ihr euch blind gestellt habt, heißt das nicht, dass das alle anderen auch getan haben.«
    »Du redest von den Alten, oder? Haben sie Aurora entführt? Weil Nathan nicht ausreichend für ihre Erziehung zur Nephila gesorgt hat?«
    Er hob die Hand, und ich zuckte zurück, doch er wollte mich nicht berühren, winkte nur ab.
    »Ich habe es dir doch gestern schon gesagt: Die Welt ist nicht weiß oder schwarz, sondern grau. Und das Grau hat so viele Schattierungen. Die Wahrheit ist kompliziert. Die Wahrheit über Aurora. Aber auch die Wahrheit über die Nephilim. Ihre Hierarchie ist viel komplexer, als du denkst. Es gibt nicht nur die Alten und die normalen Nephilim. Es gibt ungleich mehr …«
    »Was? Was gibt es noch?«
    Er machte den Mund auf, schien etwas sagen zu wollen, aber schwieg dann. Sein Mund verzerrte sich zu einem Lächeln.
    »Du hättest es längst herausfinden können«, sagte er schließlich, »auch ohne Nathan … Du wusstest genug über die Nephilim, um zu ahnen, welche Bücher du hättest lesen und mit welchen Themen du dich eingehender hättest beschäftigen müssen, um mehr über sie zu erfahren. Aber du wolltest nicht, nicht wahr? Es hat dich einfach nicht interessiert. Wer wir sind, wie wir leben – du hast dich blind gestellt, und Nathan hat mitgespielt, indem er sich dir ganz und gar angepasst hat. Hauptsache, ihr hattet eure kleine heile Welt. Pah!«
    Abrupt wandte er sich ab und entfernte sich mit steifen Schritten. Mit zitternden Knien rannte ich ihm nach.
    »Wie? Wie hätte ich mehr über die Nephilim herausfinden können?«, rief ich.
    Er ging eine Weile, ohne sich umzudrehen, dann blieb er endlich stehen. Meine Nerven waren

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