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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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hatte.
    Ich hatte mich immer ein wenig unwohl gefühlt, nicht, weil hier irgendetwas angsteinflößend gewirkt hätte, sondern weil ich der ohnehin überlasteten Frau Orqual keine weitere Mühe machen wollte. Trotz Widerrede ließ sie es sich aber nie nehmen, Kuchen und Kekse aufzutischen und den Kaffee frisch mit einer Espressomaschine zuzubereiten. Es gäbe keinen besseren Kaffee als diesen, hatte sie jedes Mal behauptet, aber hatte dabei stets so gleichgültig geklungen, als merkte sie schon seit langem nicht mehr, ob und welchen Kaffee sie trank. Es schien nichts zu geben, was sie richtig genießen konnte, kaum Zeiten, die sie ganz allein ihren Bedürfnissen widmen konnte.
    Ich verließ nun den Vorraum, um den Flur zu betreten – und schrie auf. Der Spiegel, der rechts an der Wand hing, war zu Boden gefallen und zu Bruch gegangen. Tausende kleine Scherben bildeten ein silbriges Meer.
    Ich hatte schon vorhin nicht daran gezweifelt, aber jetzt hatte ich Gewissheit: Es musste nicht nur jemand gewaltsam ins Haus eingedrungen sein, sondern es musste auch ein heftiger Kampf stattgefunden haben.
    Anders als ich wirkte Caspar nicht entsetzt. Der Anflug eines Lächelns verzog seine Lippen, als er einfach auf die Scherben trat. Die schlaffe, bleiche Haut schien nach dem langen Marsch durch den Wald etwas rosiger, der Blick lebendiger. Ich wusste nicht, was so stimulierend wirkte – dass jemand dieses Chaos bereitet hatte oder dass er gemeinsam mit mir hier war.
    »Worauf wartest du?«, drängte er mich. »Du musst keine Angst haben – hier ist keiner mehr!«
    Ich wusste, dass seine Schwester Cara die Fähigkeit hatte, die Präsenz von anderen Nephilim zu fühlen, doch dass auch er dazu fähig war, noch dazu in seinem Zustand, befremdete mich.
    »Ich dachte, du hättest weder Lebenskraft noch Lebenslust, und trotzdem kannst du das doch fühlen?«
    »Wie es scheint – ja.« Er klang verwundert und ließ seinen Blick kurz über seinen Körper streifen, als wäre dieser ein ungewohntes Kunstwerk, das es respektvoll zu erforschen galt.
    »Es ist also kein Nephil hier«, murmelte ich, »aber vielleicht ein Mensch?«
    »Wenn ich es mir recht überlege, würde es mir nichts ausmachen, einen kleinen Happen zu mir zu nehmen …« In seinen schwarzen Augen funkelte es. Wie vorhin im Wald war ich mir nicht sicher, ob er sich über mich lustig machte oder tatsächlich nach Menschenfleisch gierte.
    »Du hast kein Schwert bei dir«, stellte ich fest – und mein Unbehagen ließ meine Stimme schärfer klingen.
    »Wenn du wüsstest, was ich mit meinen Händen tun kann«, stieß er aus. Abrupt hob er diese Hände – Spinnenhände – ganz dicht vor mein Gesicht. Sie verkrampften sich und glichen Krallen. Erneut wich ich zurück – was er mit einem Kichern quittierte.
    »Arme Sophie«, spottete er, »so ganz allein … mir ausgeliefert … Wenn Nathan das nur wüsste …«
    Meine Furcht vor ihm war nun größer als vor dem, was mich im Inneren des Hauses erwartete. Entschlossen öffnete ich die Wohnzimmertür – und atmete erleichtert auf. Anders als im Vorraum und Flur sah hier alles ganz normal aus.
    Das Gebäude war ziemlich alt, schon um die letzte Jahrhundertwende herum errichtet worden, doch es war von Grund auf saniert und renoviert worden. Dem ursprünglich ländlichen Stil war man bei der Einrichtung in vielem treu geblieben, sowohl was die Holzvertäfelung der Wände anbelangte, den Natursteinboden, die hellen Möbel aus Fichtenholz als auch die Gemälde an den Wänden, die allesamt Seen und Berge der Umgebung zeigten und in deren Mitte sich sogar ein Hirschgeweih befand. Doch manches moderne Detail stand im Kontrast zum vermeintlich Altmodischen: eine sehr teuer anmutende Stereoanlage, ein Flatscreen, ein Designerstuhl aus rostrotem Leder.
    Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und ging dann in die Küche. Sie war so unaufdringlich und zugleich so edel eingerichtet wie das restliche Haus, und auch hier waren alte und moderne Elemente kombiniert worden: So hatte das Waschbecken die Form einer Alt-Wiener Bassena, und der Glastisch wurde von einem alten Wagenrad gestützt – doch die Gerä- te waren allesamt auf dem neuesten Stand der Technik.
    Auch in der Küche gab es keine Spuren von Gewalt. Vielmehr wirkte sie steril, als wäre hier schon seit Tagen nicht mehr gekocht worden. Ich öffnete den Kühlschrank: Er war zwar randvoll gefüllt, aber keine einzige Packung war geöffnet worden – weder Milch, Orangensaft,

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