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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Nephilim-Kind …«, knurrte Caspar. Der Ausdruck der nackten, puren Gier war wieder erloschen. Er wirkte verdrießlich.
    »Wie … was …«, stammelte ich.
    Es gelang mir nur mühsam, die Fassung wiederzufinden. Ich wusste, dass es unauffällige Nephilim gab, die sich den Menschen anpassten und oft nicht einmal von ihresgleichen erkannt wurden, aber ich hätte nie geahnt, dass ausgerechnet in dem ängstlichen, schüchternen, zarten Jungen dieses jahrhundertealte Erbe schlummerte, dass er keine gewöhnlichen Eltern hatte, sondern von einem Nephil abstammte. Vielleicht war es auch umgekehrt – sein Vater war ein Mensch und seine Mutter die Nephila. Ja, so musste es sein – das war wohl auch der Grund, warum Marian bei seinen Großeltern väterlicherseits und nicht bei seinen Eltern aufwuchs: Sie wollten ihm eine Kindheit fernab dieses jahrhundertealten Kampfes ermöglichen, umso mehr nach diesem rätselhaften Schockerlebnis in früher Kindheit, das ihn hatte verstummen lassen. Doch nun hatte dieser Kampf ihn eingeholt, nun konnten ihn Samuel und Susanna nicht länger schützen.
    Ich folgte Caspar, der zur Tür gestürzt war.
    »Er ist nur deinetwegen fortgelaufen«, rief ich erbost. »Er hätte mir mehr sagen können …«
    »Er ist doch stumm«, warf Caspar ein. »Ob nun Nephilim-Kind oder nicht – er hätte dir nichts sagen können.«
    »In jedem Fall hatte er schreckliche Angst … und Kummer … und ich bin sicher …«
    »Wenn er etwas weiß, dann macht es in seinem Fall wohl mehr Sinn, ihm zu folgen, anstatt mit ihm zu reden«, knurrte Caspar. Im nächsten Augenblick fühlte ich wieder einen kalten Luftzug, dann stand er schon am Gartentor. Als auch ich es erreicht hatte, war er bereits im Wald verschwunden. Wieder brauchte ich eine Weile, bis ich ihm gefolgt war.
    »Dort!«, rief er, kaum dass ich neben ihm stand. Ich folgte seinem Blick – doch was immer er gesehen hatte, ich nahm nichts Ungewöhnliches war. Weit und breit war keine Spur von Marian. Caspar schien jedoch mehr zu sehen als ich, machte wieder einen Satz und war schon im nächsten Augenblick an die zwanzig Meter von mir entfernt. Wild blickte er in sämtliche Richtungen. Ich lief atemlos hinterher.
    »Vorhin …«, fiel es mir wieder ein, »du hast gesagt, du wüsstest, worum es beim Streit der Alten ging. Du meintest, dass …«
    »Wie es aussieht war es nicht einfach nur ein Streit … sondern eine Grundsatzentscheidung. Es ging um die Frage, ob …«
    Er brach ab, deutete in eine bestimmte Richtung, und diesmal konnte auch ich Marian sehen – zumindest für den Bruchteil einer Sekunde. Kurz stand er ganz steif, starrte zu uns herüber, lief dann weiter – oder, wie es in dem Fall wohl zutreffender lauten musste: schoss wie ein Blitz davon. Caspar versuchte ihm zu folgen, verlor ihn aber bald wieder aus den Augen.
    Ohne Zweifel: Der Junge war schneller als er. Doch dass er immer wieder stehen blieb, bedeutete, dass er zwar nicht in Caspars Hände geraten wollte, wir ihm aber folgen sollten. Wohin wollte er uns bringen? Wusste er, wo sein Großvater gefangen gehalten war – oder gar Mia und Aurora?
    Trotz meiner Verwirrung keimte Hoffnung in mir auf, und ich rannte Caspar hinterher.
     
    Wir liefen erst durch den Wald, später ein Stück die Hauptstraße entlang, die zu meiner Villa führte, zuletzt wieder in den Wald hinein. Eine Weile sah es so aus, als würde Marian auf Hallstatt zulaufen, doch dann nahm er einen Weg, der den Berg hinaufführte. Caspar stürzte ihm weiterhin blitzschnell nach, während ich Mühe hatte, auf diesem steilen Hang, der nicht mit weichem Moos, sondern glitschigen Blättern bedeckt war, nicht auszurutschen. Ich hielt mich an Ästen fest und zog mich von einem Baum zum nächsten. Als ich Caspar endlich auf einer kleinen Anhöhe erreicht hatte, war ich schweißgebadet – und er verärgert.
    »Er spielt mit uns!«, zischte er.
    »Wo ist er hin?«
    Caspar deutete auf einen Baum, hinter dem sich Marian offenbar versteckt hielt.
    »Er hat Angst vor dir, aber er will uns irgendwohin führen.«
    »Oder er stellt uns eine Falle.«
    Es fiel mir schwer, daran zu glauben – doch nach allem, was geschehen war, konnte ich auch das nicht ausschließen. Kurz glaubte ich Marians Gesicht zu erkennen, als er den Kopf hinter dem Baum hervorsteckte, doch prompt war er wieder verschwunden und Caspar ebenso. Wieder zog ich mich von einem Ast zum nächsten. Rinde bohrte sich in meine Haut. Nasse Blätter klatschten in

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