Der Fluch Der Bösen Tat
sie immer schon aschblond gewesen waren, sahen sie heute nur wenig anders aus als zu der Zeit, als sie jung gewesen war. Ruth war ein hübsches Kind gewesen, eine hübsche junge Frau und heute, mit siebenundfünfzig, war sie immer noch attraktiv. Im Augenblick trug sie Baumwolljeans, weiche flache Schuhe und ein verwaschenes Männer-Rugbytrikot, das ihrem verstorbenen Ehemann gehört hatte. Weil das Trikot viel zu groß war, hatte sie die Manschetten hochgekrempelt, und der Rest flatterte um ihre hagere Gestalt wie ein Rock, was ihr, wie sie es nannte, jede Menge Bewegungsfreiheit verlieh. Es war ihre Kirchenputzkleidung. Sie war allein in der Kirche, und es gefiel ihr so. Doch nun ertönte hinter ihrem Rücken das leise Quietschen der Nordtür, gefolgt vom lauten Vogelgezwitscher aus den Kirchhofbäumen und dem Tap-tap eines Gehstocks. Sie wusste auch ohne hinzusehen, wer dort gekommen war. Er hatte ihren Wagen draußen parken sehen, von seinem Cottage aus, nur ein klein wenig weiter die Straße hinunter auf der gegenüberliegenden Seite. Er versäumte nie eine Gelegenheit, auf ein Schwätzchen vorbeizukommen, wenn sie da war. Die Unterhaltung verlief stets mehr oder weniger gleich. Sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass es heute anders sein würde. Ruth unterdrückte einen Seufzer und wartete auf die unausweichliche Eröffnungsfrage.
»Alles in Ordnung da oben auf der Leiter, Mrs. Aston?«
»Ja, danke sehr, Mr. Twelvetrees«, antwortete sie mehr oder weniger automatisch. Ihre Aufmerksamkeit war plötzlich geweckt von einem kleinen grauen Bereich an der Gipswand hoch über dem Kopf von Rufus Fitzroy. Er konnte unmöglich von dem Schatten hervorgerufen sein, den irgendein Holzbalken oder ein behauener Kragstein warf. Es war doch wohl keine Feuchtigkeit? Feuchtigkeit war ein Problem, das ihnen bisher erspart geblieben war. Doch falls es Feuchtigkeit war, würde sie es umgehend Pater Holland in Bamford melden müssen.
»Diese Leiter sieht nicht besonders stabil aus in meinen Augen«, sagte der Neuankömmling und tippte mit dem Stock gegen das Holz an der Seite.
»Sie sollten mit der Kirche reden, damit sie eine neue kauft.« Von wegen, neue Leiter, dachte Ruth. Sie durfte diesen grauen Fleck nicht ignorieren. Irgendjemand würde ihn inspizieren müssen, doch sie konnte mit ihrer Trittleiter nicht so weit nach oben, noch verspürte sie Lust, sich überhaupt so weit von festem Boden zu entfernen. Sie würde Kevin Jones bitten, eine lange Leiter von der Farm mitzubringen, an der Wand hochzuklettern und einen Blick auf den Fleck zu werfen. Kevin war ausgesprochen hilfreich, was diese Art von Dingen anging.
»Es hat aufgehört zu regnen. War ein ziemlicher Guss, nicht wahr?« Ruths Besucher beharrte auf seinem Teil der Konversation, trotz des Mangels an Antworten.
»Ich war hier drin«, murmelte Ruth. Er wechselte die Taktik.
»Das ist wirklich ein schönes Stück Marmor.« Ruth ergab sich in ihr Schicksal. Sie unterbrach ihre Arbeit und kletterte halb von der Trittleiter nach unten, wo sie den Kopf drehen konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Dort stand er, William Twelvetrees, Old Billy Twelvetrees, so genannt, weil es einen Young Billy gab, seinen Sohn, auch wenn Young Billy nicht länger in Lower Stovey lebte. Old Billy war so breit, wie er groß war, und so stabil und rüstig wie die alte Kirche. Er hatte einen dichten Schopf weißer Haare trotz des fortgeschrittenen Alters. Sein Gesicht war rot von einem Leben, das er Arbeitstag für Arbeitstag unter freiem Himmel und Abend für Abend in der behaglichen Geborgenheit des Fitzroy Arms verbracht hatte. Old Billys einzige Altersgebrechen waren eine schwache Hüfte, daher der Stock, und eine gelegentliche Angina, die ihm eine Ausrede lieferte, nichts Anstrengendes mehr anzufassen, wie minimal es auch sein mochte. Er hob den Stock und deutete damit auf das Denkmal.
»Ich mag es nicht besonders«, sagte Ruth.
»Es ist zu ausgefallen für meinen Geschmack und zu morbide.«
»Damals wussten sie jedenfalls noch, wie man einen richtigen Gedenkstein macht«, stellte Billy tadelnd fest.
»Wie geht es Ihnen heute, Mr. Twelvetrees?«, fragte Ruth, indem sie sich weigerte, an einer Diskussion über georgianische Begräbniskunst teilzunehmen.
»Ich hab immer noch das Stechen.« Billy tippte sich gegen die Brust. Detailliertere Informationen über seinen Gesundheitszustand wurden ihr erspart, denn wie sich herausstellte, ging Billy etwas anderes durch den
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