Der Fluch Der Bösen Tat
nicht am Schreibtisch zurück, wenn ich am Ende des Tages aufhöre zu arbeiten. Du hingegen …«
»Herrgott noch mal, steig endlich in den Wagen!«, explodierte Pearce.
»Du musst mich nicht anbrüllen. Du verhaftest mich schließlich nicht, weißt du? Ich bin nicht irgend so ein Rowdy mit zu viel Bier intus. Wenn du noch einen Moment warten würdest – ich muss meine Schuhe wechseln.«
»Kannst du das nicht im Wagen?«
»Ich müsste sie überhaupt nicht wechseln, wenn ich nicht mit Henry hätte gehen müssen! Und ich hätte nicht mit Henry gehen müssen, wenn du nicht die ganze Zeit im Badezimmer gesteckt und an deinem Zahn rumgefummelt hättest! Wenn wir heute Morgen zu spät zur Arbeit kommen, David Pearce«, beendete Tessa diese Tour de Force der Logik,
»dann nur deswegen, weil du Angst vor dem Zahnarzt hast! So, jetzt weißt du es«, fügte sie hinzu. Manchmal, dachte Pearce, ist Polizeiarbeit wirklich ein Kinderspiel im Vergleich zu häuslichem Leben. Er stieß einen Seufzer aus. Henry stöhnte mitfühlend von seinem Platz auf dem Läufer.
Alan Markby saß an seinem Schreibtisch. Er war an diesem Morgen schon früh zur Arbeit gekommen, als das Reinigungspersonal noch zugange gewesen war. Als er jedoch den Telefonhörer von der Gabel nahm und im Archiv anrief, stellte er fest, dass bereits jemand dort war, auch wenn der Tonfall der antwortenden Stimme die Vermutung nahe legte, dass der Betreffende gerade erst eingetreten war und noch dabei, sich aus dem Mantel zu schälen.
»Was gibt’s denn?«, fragte die Stimme kurz angebunden. Laut fügte sie an die Adresse von jemand anderem hinzu:
»Ja, bring mir bitte einen Kaffee mit und ein Schinkensandwich.«
Markby identifizierte sich und amüsierte sich im Stillen angesichts der augenblicklichen Änderung des Verhaltens und des Tonfalls.
»Jawohl, Sir. Sorry, Mr. Markby, ich wusste nicht, dass Sie es sind. Ich bin gerade erst reingekommen. Was können wir für Sie tun, Sir?«
»Sie können eine alte Akte für mich heraussuchen«, sagte Markby.
»Es geht um einen Serienvergewaltiger, einen ungelösten Fall, und der Täter wurde damals ›Kartoffelmann‹ getauft.« Er nannte das Datum und das Revier, das damals für den Fall zuständig gewesen war.
»Ich bringe die Akte direkt zu Ihnen nach oben«, versprach die Stimme.
Markby ging nach draußen in den Korridor und zog sich an der Maschine dort etwas zu trinken. Er nahm an, dass es sich um Tee handelte, denn er hatte die entsprechend beschriftete Taste gedrückt, doch ohne diesen Hinweis wäre wahrscheinlich niemand darauf gekommen. Obwohl er normalerweise keinen Zucker nahm, hatte er sich diesmal für die gesüßte Version entschieden, weil dadurch der übliche Geschmack von verbranntem Kakao maskiert wurde, der jedem Getränk anzuhaften schien, das diese Maschine lieferte.
Er kehrte mit seinem Tee zurück ins Büro. Seine Schritte hallten durch das noch immer halb leere Gebäude. Zurück im Büro stand er mit dem Becher in der Hand da und starrte aus dem Fenster, doch er nahm weder den asphaltierten Parkplatz noch den Verkehr unten auf der Straße wahr, genauso wenig wie die ameisenartigen Haufen von Männern und Frauen unterwegs zur Arbeit. Er sah nur Stovey Woods.
Gelegentlich wanderte sein Blick von der Landschaft draußen zu seinem Schreibtisch und dem zerknitterten Paket darauf.
»Wer bist du?«, murmelte er leise.
Waren es nur Knochen? Oder waren es Knochen, die ihnen noch etwas erzählen konnten? Damals, vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen, war ein Skelett das Sinnbild der Sterblichkeit gewesen, ein kompliziertes, kunstvolles Rahmenwerk des menschlichen Körpers, erst zu sehen, nachdem der Besitzer längst verstorben und zu Staub geworden war. Es hing in Stein gehauen grinsend an der Fassade manch einer mittelalterlichen Kathedrale in einem Danse macabre und erinnerte die anderen Gläubigen, den Mönch, die Dame, den Ritter und den Bauern ständig aufs Neue an das Ende, das alles irgendwann einmal haben würde. Der Symbolismus war im grellen Lichtschein wissenschaftlichen Fortschritts verblasst. Und doch lag vielleicht die wirkliche Bewusstheit der Realität nicht bei den modernen Wissenschaftlern und ihren Maschinen, sondern bei den mittelalterlichen Bildhauern vergangener Zeiten. Selbst die traurige kleine Sammlung auf Markbys Schreibtisch war irgendwann einmal ein lebendes, atmendes Ding gewesen. Früher hatte einmal Fleisch an diesen Knochen gehaftet. Der Kiefer hatte sich beim
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