Der Fluch Der Bösen Tat
gelungen war, sich in die zäh fließende Fahrzeugkolonne einzuordnen, nahm sie die Unterhaltung wieder auf.
»Es gibt schlimmere Gegenden als Lower Stovey«, sagte sie. Sie wusste, dass es ihrer Stimme an Überzeugung mangelte. Die Worte waren ein Mantra, das sie sich selbst seit mehr als zwanzig Jahren immer und immer wieder aufgesagt hatte, und doch war sie nicht überzeugt. Sie hatte gehofft, dass sie, indem sie es sagte, schlimme Dinge abwenden konnte. Doch sie waren zurückgekehrt, erst vor kürzester Zeit, mit dem Auffinden dieser elenden Knochen. Linda vermochte nicht in die Zukunft zu sehen, und sie sagte sich, dass sie es auch überhaupt nicht wollte. Sie hatte bereits resigniert gegenüber dem, was sie bringen würde. Becky würde aus dem Stall flüchten, sobald sie mit der Schule fertig war, genau wie es Gordon getan hatte. In weniger als fünf Jahren würde die Zeit kommen, vor der sie sich fürchtete, allein mit Kevin, beide Kinder von zu Hause fort, und ihr Schwiegervater wahrscheinlich bis dahin tot. Sie und Kevin wären allein auf der Greenjack Farm und würden sich über den Tisch hinweg anstarren, und keiner von beiden hätte dem anderen etwas zu sagen. Nichts würde ihnen bleiben außer Erinnerungen, und darüber wollten sie nicht reden. Doch Kevin war ein guter Ehemann, loyal und fleißig. Er gab sich die größte Mühe, für sie und Becky zu sorgen und für seinen zunehmend senilen Vater. Er kümmerte sich auch um Gordon. Sie wünschte, er käme besser zurecht mit Gordon. Es war nicht schön, dass sie stets in der Mitte zwischen beiden Fronten saß, mit beiden Seiten mitfühlte und versuchen musste, den Frieden zu bewahren. Natürlich hatte Gordon nicht auf der Farm bleiben wollen. Warum sollte er auch? Es wäre nicht anders gewesen, wenn Gordon … Beckys Stimme brach in ihre Gedanken ein.
»Weißt du, seit sie diese alten Knochen gefunden haben, ist das Leben in Lower Stovey tatsächlich ein wenig interessanter geworden.«
»Wirklich eine Schande, dass sie nichts anderes haben, worüber sie sich unterhalten könnten«, sagte sie in scharfem Ton. Sie waren unterdessen in Bamford, und Becky hakte das Thema um die Überreste aus Stovey Woods ab, wie die lokale Presse es nannte.
»Dort ist Michèle! Lass mich hier aussteigen, Mum. Ich gehe den Rest zu Fuß.« Linda spürte eine Woge der Erleichterung.
»Ich schätze, du hast noch genügend Zeit, und ich muss noch beim Supermarkt vorbei.« Sie lenkte an den Straßenrand und wartete, während ihre Tochter sich aus dem Wagen mühte, behindert durch ihre Schultasche und ihre Versuche, die Freundin auf sich aufmerksam zu machen. Als Becky schließlich auf dem Bürgersteig stand, wandte sie sich um, senkte den Kopf und fragte durch die offene Wagentür hindurch:
»Darf ich heute mit dem späteren Bus nach Hause kommen, Mum?«
»Nein, Becky, darfst du nicht.«
»Ach, Mum!«
»Ich hole dich an der Bushaltestelle ab, um Viertel nach vier, wie immer. Du wirst dort sein.« Die Tür fiel unter dem gemurmelten Protest ihrer Tochter ins Schloss. Linda fuhr weiter. Es gab keinen passenden Bus am Morgen, deswegen musste sie ihre Tochter zur Schule fahren. Doch es gab nachmittags einen Bus, den Becky um vier Uhr nehmen konnte und der unmittelbar vor der Kreuzung nach Lower Stovey hielt. Es war ein Segen, weil es bedeutete, dass Linda nicht ein zweites Mal am Tag nach Bamford fahren musste. Sie fuhr lediglich bis zur Haltestelle und sammelte ihre Tochter ein. Der Nachteil war, dass Becky nach der Schule keine Zeit hatte, die sie mit ihren Freundinnen verbringen konnte, es sei denn, sie stieg in den nächsten Bus, der volle zwei Stunden später ging. In letzter Zeit hatte sie immer häufiger den späteren Bus genommen, bis Kevin ein Machtwort gesprochen hatte.
»Sie ist ständig in der Stadt mit ihren albernen Freundinnen unterwegs. Sie haben nichts als Unsinn im Kopf, und wir wissen nichts davon! Außerdem sollte sie hier auf der Farm sein und dir beim Kochen des Abendessens helfen.« Normalerweise ließ sich Linda stets von dem Betteln ihrer Tochter erweichen. Doch Beckys Worte über den grausigen Fund in Stovey Woods hatten sie verärgert. Sie begann zu glauben, dass Kevin Recht hatte und Becky lieber nicht zu viel Zeit mit diesen hohlköpfigen Mädchen verbrachte, die sie Freundinnen nannte. Wenn es überhaupt Freundinnen waren und nicht Jungs. Eine kalte Faust umschloss Lindas Magengrube. Becky war dreizehn. Sie war hübsch. Wirf dein Leben nicht weg,
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