Der Fluch Der Bösen Tat
nicht dahaben. Sie wollte nicht, dass Dilys auf ihre gleichmütige Art durch das Haus stapfte, als wäre alles normal, als wäre überhaupt nichts passiert. Die Twelvetrees hatten kein Telefon, und die Aufgabe, die kurze Notiz niederzuschreiben und zum Haus der Twelvetrees zu gehen, erschien Ruth unüberwindlich schwer. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass sie unterwegs jemandem begegnete, der über Hester reden wollte und das, was passiert war. Am schlimmsten jedoch war, dass sie das blauweiße Absperrband der Polizei sehen würde, das immer noch quer über den Kirchhof gespannt war. Die Kirche, die einen großen Teil von Ruths Kindheit bedeutete, genauso, wie sie einen großen Teil ihrer vergangenen Jahre hier in The Old Forge darstellte, war zum Tatort eines Verbrechens geworden, besudelt für alle Zeiten.
An diesem Punkt fiel Ruth mit einem schuldbewussten Stich Pater Holland in Bamford ein. St. Barnabas gehörte zu seiner Gemeinde. Irgendjemand musste ihm erzählen, was sich ereignet hatte. Es war Ruths Aufgabe als Kirchenvorsteherin, ihn zu informieren. Doch vielleicht hatte die Polizei sich bereits mit ihm in Verbindung gesetzt und ihm von der grausigen Entweihung berichtet, die sich zugetragen hatte? Sie wünschte, sie wüsste es. Sie hätte Markby fragen sollen oder jenen anderen Polizisten, Pearce. War vielleicht eine Art Reinigungsritual erforderlich, bevor die Kirche wieder als ein Ort des Gebets benutzt werden konnte? Würde sie, Ruth, je wieder im Stande sein, einen Fuß hineinzusetzen?
Nicht nur das Mittagessen war ausgefallen. Sie hatte den ganzen Tag seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, seit einer Ewigkeit, wie ihr schien. Sie wurde sich des nagenden Hungergefühls in ihrem Magen bewusst und stand auf, um Hesters Apfelkuchen aus dem Speiseschrank zu holen. Sie konnte ihn nicht wegwerfen. Hester würde sich furchtbar darüber aufregen. Andererseits verspürte sie kein Verlangen, den Kuchen zu essen. Doch es war das einzige Lebensmittel im Haus, das nicht zuerst aufgetaut werden musste. Selbst ein Sandwich erforderte Vorbereitungen, die Ruths Kräfte im Augenblick überstiegen. Es war eine Ironie, dass sie nichts im Haus hatte, das man einfach so nehmen und essen konnte, trotz einer überquellenden Tiefkühltruhe und einer Speisekammer voller Eingemachtem.
Sie schnitt ein kleines Stück vom Apfelkuchen und legte es auf einen Teller, doch nach zwei Bissen, die sie nur unter großen Mühen herunterbrachte, gab sie auf.
»Es tut mir Leid, Hester, es tut mir wirklich Leid«, sagte sie laut, dann stand sie auf, nahm ihren Teller mit dem halb verzehrten Stück und den restlichen Kuchen und ließ alles in eine Plastiktüte gleiten. Sie verschloss die Tüte, trug sie nach draußen und legte sie mit größter Vorsicht und Ehrfurcht in die Mülltonne vor dem Haus. Sie fühlte sich wie eine Götzendienerin, die ein Opfer auf einem Altar darbrachte.
Ruth kehrte ins Haus zurück und hatte kaum den Teller und die Kuchenplatte in den Geschirrspüler gestellt, als das Telefon läutete. Sie hatte vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten – sie musste rangehen. Möglich, dass es die Polizei war. Vorsichtig nahm Ruth den Hörer ab und meldete sich.
»Ja?«
»Ruth?«
Sie erkannte die Stimme als die von Pater James Holland und stieß einen erleichterten Seufzer aus.
»Oh, James! Ich hatte überlegt, ob ich Sie anrufen soll. Haben Sie schon …« Ruth brach ab.
»Ja, ich habe davon gehört. Superintendent Markby war bei mir. Es tut mir so Leid, Ruth.« Die letzten Worte würde sie in den nächsten Wochen in einer Vielzahl von Formulierungen hören, mit unterschiedlich ausgeprägten Graden von Aufrichtigkeit und Mitgefühl. James meinte es zumindest ernst.
»Ich habe überlegt, wie es mit der Kirche weitergehen soll«, sagte sie.
»Ob sie neu geweiht werden muss oder so etwas.« Ihr wurde bewusst, dass es ihm vielleicht seltsam erscheinen würde, wenn sie in einer Zeit wie dieser über derartige Belanglosigkeiten nachdachte. Doch es war besser, als direkt über Hester zu reden oder über die furchtbare Tat, durch die Ruth ihrer Freundin beraubt worden war. Wahrscheinlich würde er sie verstehen. Sie glaubte, dass er trotz seines zotteligen Äußeren und der Begeisterung, mit der er auf seinem schweren Motorrad durch die Landschaft donnerte, ein sensibler Mann war. Er war auch ein guter Priester. Er rief sie an, weil sie ein trauerndes Mitglied seiner Gemeinde war, und nicht in ihrer Eigenschaft
Weitere Kostenlose Bücher