Der Fluch der bösen Tat
erste große Aufgabe als PEN-Vorsitzende und ihre persönliche Krise. Und dann ihre Begegnung mit Per. Aber was für eine Rolle spielte er eigentlich? Die eines Katalysators oder eines Blitzableiters? Oder einer Entschuldigung. Zumindest war sie Per für sein Schweigen dankbar. Er hatte eine Antenne dafür, wann er den Mund zu halten hatte. Statt zu reden, fuhr er nach Nørrebro und parkte in einer Nebenstraße vor einem italienischen Restaurant.
In dem Restaurant mit den traditionellen rotkarierten Tischtüchern und niedrigen Lampen saßen nur noch drei weitere Gäste. Per und Lise bestellten beide Fettucine, eine Karaffe vom Wein des Hauses und zwei Zitronenwasser. Durch die kleinen Fenster fiel weiches Licht. In dem grauen Schimmer machte sich schon der Herbst bemerkbar, so als würde das Licht von einem dünnen blauen Tuch gefiltert, das eine willkommene melancholische Stimmung schuf.
Er brach sich ein Stück Brot ab und kommentierte diesmal nicht, daß sie sich eine Zigarette ansteckte. Es war im übrigen seine einzige richtig nervtötende Eigenart, daß er ihr ständig versteckt oder offen zu verstehen gab, daß er ihr Rauchen für eine schlechte Angewohnheit hielt. Statt dessen fing er an, über konspirative Wohnungen, Beschnüffelung, Pressekonferenzen und einen Mordauftrag zu sprechen.
»Woher weißt du das?« fragte sie.
»Wir haben unsere Quellen wie die Journalisten auch«, sagte er und wollte gerade fortfahren, als sie ihn unterbrach: »Können wir nicht über was anderes reden? Können wir die Sache nicht ein bißchen vergessen? Können wir nicht einfach so tun, als ob du mich nett findest und mich deshalb zum Essen eingeladen hast? Und nicht weil es zu deiner Arbeit gehört?«
Es schien ihr, als ob sich seine Augen verfärbten. Sie wurden ganz sanft.
»Wir brauchen gar nicht so zu tun, als ob«, sagte er.
Einen Augenblick fürchtete sie, rot zu werden. Noch mit Ende Zwanzig war ihr das ständig passiert, und so ganz unter Kontrolle hatte sie es immer noch nicht. Statt dessen strich sie über das Tischtuch, drückte ihre Zigarette aus und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er sah sie nur an, sie mußte lachen, und dann lachten sie beide, und später beim Essen erzählte er ihr amüsant und selbstironisch von seinen Reisen nach Spanien. Für eine kurze Zeit machten sie gemeinsam Ferien von der Wirklichkeit. Sie erzählte Geschichten über die Zeitung und aus dem Kulturleben, von eingebildeten Schriftstellern und aufgeblasenen Kritikern.
Sie ließ ihn sogar bezahlen, und leicht beschwipst vom Wein, dem sie tüchtig zugesprochen hatte, setzte sie sich in sein Auto und ließ sich chauffieren.
»Wohin fahren wir?« fragte sie dann doch, als sie bemerkte, daß sie Richtung Østerbro fuhren. Er sagte nie, was sie vorhatten. Er fuhr mit ihr herum und ging davon aus, daß sie mitmachte. Sie fürchtete plötzlich, er wolle sie nach Hause bringen. Dazu hatte sie keinerlei Lust. Sie hatte Lust, mit ihm zusammenzubleiben und noch ein wenig die sorglose, alberne Stimmung zu genießen. Zu Hause erwartete sie nur eine Finsternis, die sie wie ein dicker, schwarzer Mantel einhüllen würde, zusammen mit der panischen Angst, diesen Mantel nie wieder abwerfen zu können.
»Ich werde dir Simbas Hundehütte zeigen«, sagte er und brachte sie damit zum Lachen.
Sie kurbelte ihr Fenster hinunter und machte wau-wau zu einem jungen Mann auf dem Bürgersteig, der seinen großen schwarzen Rottweiler spazierenführte. Der junge Mann merkte gar nichts, aber zu ihrem großen Vergnügen spitzte der Hund die Ohren, und Per lachte.
Am großen Irma -Supermarkt mit dem vertrauten blauen Schild verließen sie den Lyngbyvej und fuhren über den Sankt Kjelds Plads in den Nygårdsvej. In dieser Gegend war sie schon lange nicht mehr gewesen. Der Weg von ihrer Wohnung am Triangel führte sie immer in Richtung Innenstadt oder zu den neuen angesagten Bars in Nørrebro. Auch ein bißchen wegen ihrer Arbeit. Sie schrieb Zeitungsglossen über das Leben in der Stadt. Artikel, die leicht und ein wenig träumerisch wirken sollten. Für ihre fiktiven Unterhaltungen zwischen zufälligen Menschen wählte sie oft ein Café als Kulisse. Sie waren in der Ich-Person geschrieben, und es steckte eine Menge Wunschdenken darin; sie beschrieb das Leben, wie sie es sich wünschte und weniger, wie es wirklich war.
»Hier habe ich mal gewohnt«, sagte sie.
Per hielt vor einem roten Gebäude. Ein Tor führte in einen Hof. Der Hof war frisch renoviert,
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