Der Fluch der bösen Tat
mit Bänken, Spielplatz und vielen grünen Büschen und Bäumen. Er erinnerte an einen großen abgeschlossenen Stadtgarten, der von gelben und roten Häuserblöcken umgeben war.
»Es war sogar hier«, sagte sie. Sie zeigte auf die andere Seite. »Da drüben! Ich habe ein paar Jahre lang mit einer Freundin zusammengewohnt, während wir studiert haben. Die Welt ist klein. Aber damals lag da drüben eine Fabrik. Für Prothesen, glaub ich. Jetzt haben sie dort ein Haus gebaut.«
Per antwortete nicht, sondern ging durch die erste Tür und drei Treppen hoch. Er schloß die braune Eingangstür auf. Auf dem Namensschild stand mit kleinen weißen Buchstaben »Per Hansen«.
Die Wohnung war klein, aber geräumig. Rechts lag eine Kammer und geradeaus das Schlafzimmer. Dazu kamen Wohnzimmer, Küche und ein kleines Bad. Es roch sauber, aber auch ein wenig ungelüftet. Wie ein Ferienhaus, das nach langer Zeit wieder genutzt wird. Die Möbel waren hell und zeitlos, das Parkett war sauber. Die Wohnung war mit Radio, Fernseher samt Video und vielen Büchern ausgestattet.
Per schien sich bestens auszukennen. Das Licht fiel grau und schon nachlassend durch die beigefarbenen Gardinen, die im Wohnzimmer vorgezogen waren. Lise betrachtete die Buchrücken. Es waren englische, dänische und russische Bücher. Thriller und dänische Klassiker. Sie zog ein Buch heraus, konnte aber die kyrillischen Buchstaben nicht lesen.
»Das ist doch russisch, oder?« sagte sie.
Per sah sie an. Er warf den Wohnungsschlüssel ein paarmal in die Luft und fing ihn wieder auf. Er sah sie etwas sonderbar an, fand sie. Sie fühlte sich noch immer leicht ums Herz und ein bißchen betütert vom Wein. Sie hatte nicht die Absicht, ihre gute Laune aufzugeben.
»Das ist korrekt«, sagte er.
»Bist du auch«, sagte sie.
»Okay, chica. Die Wohnung hier ist ein bißchen besonders. Fremden wird sie gewöhnlich nicht präsentiert.«
»Ach, jetzt bin ich fremd. Und was ist daran denn so besonders? Daß sie mit russischen Romanen bestückt ist?«
»Es ist ein altes safehouse « , sagte er.
»Was ist das denn?«
Er nahm ihr das Buch aus der Hand und stellte es wieder an seinen Platz. Sie spürte seinen Handrücken an ihrem, und plötzlich schien die Zeit stillzustehen, bis er einen Schritt zurücktrat und sagte: »Du solltest lieber mehr Krimis lesen als deine feine Literatur. Da könntest du was lernen.«
»Warum, Per?«
»Warum du Krimis lesen solltest?« Jetzt war der neckende Ton in seine Stimme zurückgekehrt. Das war schön.
Lise zog den Roman wieder heraus und hielt ihn ihm unter die Nase.
»Nein, hombre! Was ist das, ein safehouse ?Warum russische Romane?«
»Das ist eine Wohnung, für die wir Miete bezahlen, von der aber keiner was weiß.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Sie konnte ihn riechen. Er duftete ein wenig nach italienischen Gewürzen und einem scharfen, aber angenehmen Rasierwasser. Wie in der Werbung, dachte sie und fühlte sich ein wenig lächerlich.
»Komm schon, Per! Wir sind Partner!«
Er nahm ihr das Buch wieder ab und stellte es ins Regal zurück. Wieder spürte sie die Berührung seiner Hand wie eine Feder.
»Es ist eine Wohnung, in der wir russische Flüchtlinge untergebracht haben … oder Leute, mit denen wir privat sprechen wollten, du weißt schon. Während des kalten Krieges. Aber heutzutage auch noch.«
»Meine Steuergroschen gehen also auch für die Mieten des PND drauf. Ich hab doch tatsächlich direkt neben einer Abhörzentrale gewohnt.«
Er ergriff sanft ihren Arm. Ein schönes Gefühl.
»Paß auf, Lise. Ein Flüchtling kommt in die Stadt. Oder ein Agent. Wir wollen ihn ein wenig für uns haben. Wir müssen mit ihm reden. Hier kann er wohnen, angenehm und sicher. Leicht zu überwachen. Wir kennen das Viertel. Der Garten ist überschaubar. Der Stadtteil ist normal. Wir haben alles im Umkreis beschnüffelt. Es gibt versteckte Alarmanlagen. Von einer Wohnung vis-à-vis können wir alles beobachten. Für Simba perfekt. Weil die Wohnung nicht existiert. Mit einer Abhörzentrale hat das nichts zu tun. Es ist einfach nur eine sichere Unterkunft.«
»Ah, ja«, sagte sie nur.
Er ließ ihren einen Arm los, den anderen hielt er immer noch fest.
»Komm mit. Ich will dir was zeigen«, sagte er. Er zog sie mit sich, und seine Hand glitt ihren Arm hinunter und faßte ihre Hand, und er zog sie weiter wie ein Wohnungsmakler, der einen widerspenstigen Kunden vom Wert der Wohnung überzeugen will. Er nahm sie mit in die
Weitere Kostenlose Bücher