Der Fluch der bösen Tat
sich und stieß Ole leicht an. Er rührte sich nicht. Er war weit weg.
Vuk ging den Flur hinunter in Lises Arbeitszimmer. Der Rechner war ein IBM, den kannte er. Er schaltete ihn ein, und während er lud, zog er die Schubläden aus dem Schreibtisch neben dem Computertisch heraus, drei auf jeder Seite. Die Diskettenbox neben dem Computer war verschlossen. Auch die oberste Schublade rechts war abgeschlossen. Vuk nahm sein Taschenmesser und steckte die Klinge in den Spalt, fand den Splint und sperrte die Lade auf. Darin lagen einige Bankpapiere und ein kleiner Schlüssel. Der Rechner hatte fertig geladen und er blickte auf das bekannte Symbol von Windows 5.1.
Vuk klickte auf das Symbol von Word Perfect, und das Textverarbeitungsprogramm erschien in blauen und roten Farben. Er fand es ein wenig überraschend, daß ein großes Zeitungshaus wie Politiken noch immer die Version 5.1 benutzte, aber darum kümmerte er sich nicht weiter. Er setzte sich auf Lises Schreibtischstuhl und fing systematisch an zu arbeiten.
Indem er auf F5 drückte, verschaffte er sich Zugang zu einer ganzen Reihe von Ordnern. Sie hießen Artikel, Berichte, PEN, Pol, Privat, Briefe, Notizen. Vuks Hände waren ruhig, als er die verschiedenen Ordner, Dokumente und Dateien durchsuchte. Nichts. Er rechnete nicht damit, daß Lise eine ausgedruckte Version des Sara-Santanda-Programms herumfliegen ließ, aber sie war wohl auch nicht erfahren genug, sich gar nichts zu notieren. Was würde sie also tun? Ganz offensichtlich arbeitete sie sowohl zu Hause als auch in ihrem Büro bei Politiken.
Er nahm den kleinen Schlüssel, den er in der abgeschlossenen Schublade gefunden hatte. Natürlich paßte er zur Diskettenbox. Nach seiner Erfahrung waren Datenschutz und sonstige Vorsichtsmaßnahmen den meisten Menschen ziemlich gleichgültig. Sie waren immer der festen Überzeugung, ein Einbruch würde gerade sie nicht treffen.
Die Diskettenbox enthielt eine Reihe Disketten, die durch Karteikarten voneinander getrennt waren. Hinter der Karte »Dänischer PEN« standen vier Disketten, jede mit ihrem eigenen Titel: Aktuelles, Sitzungen, Referate, Simba. Simba klang wie ein Kodewort. Wie es ein Nichtprofi auf eine Diskette schriebe. Vuk ging nicht davon aus, daß Lise zu den Leuten gehörte, die ihre Spuren mehr als unbedingt nötig verwischten. Es erforderte Training, seine Spuren unkenntlich zu machen. Und das unverständliche Kodewort machte ihm die Arbeit im Grunde bloß leichter.
Er steckte die Diskette ins Laufwerk und fand nur den Dateinamen Simba darauf. Er drückte auf Enter, um den Text aufzurufen, aber statt dessen stand am Fuß des Schirms: Fehler. Datei geschlossen. Sie hatte sie mit Hilfe eines Kodeworts geschützt. Sie ging also davon aus, daß sie dann nicht gelesen oder kopiert werden konnte. Das war auch völlig richtig, aber ein Kode für eine Datei verhinderte nicht, daß die ganze Diskette kopiert werden konnte.
Vuk zog eine Diskette hinter der Karte »Formatiert« heraus.
»Na, dann, Lise. Diskcopy time « , sagte er leise zu sich selbst.
Es dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er die Diskette kopiert und die Kopie in die Tasche gesteckt, bevor er auch die Originaldiskette wieder sorgfältig an ihrem Platz in der Diskettenbox verstaute, die er mit dem Schlüssel abschloß. Er legte den Schlüssel in die Schublade zurück. Dann beendete er Windows korrekt und schaltete den Computer aus. Nichts würde auf seinen Datendiebstahl hinweisen, mit Ausnahme einer fehlenden unbenutzten Diskette, und das würde keinem Menschen auffallen.
Vuk löschte das Licht und ging ins Wohnzimmer.
Ole lag noch auf dem Sofa. Er regte sich ein wenig, jammerte leise im Schlaf, schien aber weit weg zu sein. Der Aschenbecher war voll, und das Zimmer roch nach Zigaretten und Whisky. Er schaute sich um. Er wußte, daß er nichts hinterlassen hatte. Es war nach ein Uhr, in der Wohnung und auf der Straße war es ganz still. Darum hörte er plötzlich deutlich, wie ein Schlüssel in die Wohnungstür gesteckt wurde. Einen Augenblick später fiel die Tür ins Schloß.
Eine Sekunde lang war er gelähmt.
»Hallo, Ole? Ich bin’s. Hallo. Ich bin wieder da. Ole, wo bist du?«
Vuk erkannte Lises Stimme. Das ließ ihn reagieren. Er schubste Oles Beine vom Sofa, so daß sie auf dem Boden zu stehen kamen, und schlug ihm gleichzeitig mit der flachen Hand aufs Ohr, lautlos, aber mit einer solchen Präzision, daß es Ole wecken würde. Gleichzeitig zerwühlte er sich die Haare, so
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