Der Fluch der bösen Tat
wieder zu dir kommen?« sagte sie.
17
VUK HATTE GENUG GETRUNKEN, um die Dämonen wie Monster in seinem Unterbewußtsein auftauchen zu lassen, aber nicht genug, um sie erfolgreich verdrängen zu können. Wie gewöhnlich träumte er von den bosnisch-serbischen Bergen vor Pale, das wie eine Wolfsschanze von blutdürstigen Feinden umgeben war. Sie waren mit Turban und Pluderhosen bekleidet und trugen lange, krumme Säbel und berannten die Stadt. Es waren Männer und Frauen, die heulten und schrien und alle ohne Unterschied niedermetzelten, und der Horizont war eine einzige Feuerwand. Vor seinen Augen wurden sein Vater, dann seine Mutter und schließlich seine Schwester zerstückelt. Er streckte seine Hände aus, konnte sich aber nicht vom Fleck rühren. Er stand angewurzelt wie Lots Frau und wollte sich bewegen, wollte helfen, reagieren, töten, aber obwohl er am Leben war, verweigerten ihm seine Muskeln den Dienst. Er sah alles, sehr scharf, und war doch eingesperrt in den Panzer seines Körpers. Die Farben waren gelblich-grün vermischt mit Blutrot, und er hörte in der Ferne das Brummen des schweren Bulldozers und wußte, nun kommt der Schrei. Sein eigener Schrei, wenn der Alptraum an dem Punkt angelangte, wo die riesige Straßenwalze auftauchte und alle auf ihrem Weg zermalmte, so daß sich ihre enormen Eisenwalzen vom Menschenblut rot färbten, nicht nur vom Blut der Feinde, sondern auch von dem seiner eigenen Familie, die plötzlich wieder lebendig und verschreckt vor dem langsam mahlenden Koloß stand, und der Fahrer der Blutwalze war er selber.
Vuk erwachte nicht von seinem eigenen Schrei, sondern weil sein Zimmernachbar heftig an die Wand hämmerte. Er machte Licht und starrte zitternd und verschwitzt an die Decke, die er nur verschwommen sah und die sich leicht wie eine Wasseroberfläche bewegte, auf die ein Stein gefallen war. Sein Herz pochte wie wild. Es war schon lange nicht mehr so schlimm gewesen. Er fürchtete, er wußte warum. Sein Leben hatte kein Ziel mehr. Der serbische Nationalismus, der seinen persönlichen Haß genährt hatte, war ausgebrannt und hatte nur Leere zurückgelassen. Er zwang sich, an Emma zu denken, an ihr Gesicht, ihre schmalen, feinen Hände, ihre zarten Füße, ihre Fesseln, ihre schlanken Schenkel, ihren Nabel, ihre Brüste, wieder ihr Gesicht. Wie ein Bildhauer modellierte er sie in seiner Vorstellung, und als er sie ganz und schön vor seinem inneren Auge sah, beruhigte sich sein Puls allmählich. Er öffnete wieder die Augen. Die Decke mit der häßlichen Lampe hatte wieder scharf umrissene Konturen.
Vuk stieg aus dem Bett und holte seine Zigaretten. Er nahm sich einen Wodka aus der Minibar und rauchte. Er griff nach der Diskette, die auf dem Nachttisch lag, und ließ sie auf seiner Handfläche ruhen. Er wollte sich mit aller Macht auf seine Aufgabe konzentrieren. Er wollte sich zwingen, sie zu Ende zu bringen. Er wollte alles andere ausblenden und wieder die maschinenhafte Sicherheit erlangen, die er besessen hatte, als er noch für die Sache kämpfte.
Vuk lief im Zimmer auf und ab. Seine Armbanduhr zeigte vier. Er hatte geschrien. Er war gezwungen, morgen das Hotel zu wechseln. Er machte den Fernseher an, holte sich noch ein Fläschchen Wodka und schaute CNN, um nicht denken zu müssen, während er darauf wartete, daß es hell wurde. Er hatte Angst zu schlafen.
Vuk frühstückte und las die dänischen Zeitungen. Dann ging er in sein Zimmer zurück und nahm die Pistole, die er in dem abgeschlossenen Koffer versteckt hatte, auseinander und setzte sie wieder zusammen. Jedesmal, wenn er das Zimmer verließ, verteilte er etwas Talkum in den Schlüssellöchern, aber bislang hatte niemand versucht, den Koffer zu öffnen.
Um zehn Uhr ging er davon aus, daß Mikael aufgestanden war. Über die Auskunft hatte er die Nummer der Eltern erfahren. Sie wohnten noch immer in dem großen Haus wie zu der Zeit, als Mikael und Vuk, der damals einen anderen Namen trug, Kinder waren. Mikael, Vuk und Peter, den Vuk in einer Nachrichtensendung des dänischen Fernsehens gesehen hatte, waren die drei Musketiere gewesen. Sie waren eng befreundet. Zum großen Teil wuchs Mikael bei seinen Freunden in Nørrebro auf, weil seine steinreichen Eltern die meiste Zeit in Spanien verbrachten. Mikael war ein Nachkömmling gewesen, und die Eltern wollten, nachdem der Vater erst einmal die Firma veräußert hatte, in Dänemark nicht mehr Zeit zubringen als unbedingt nötig. Zunächst schoben sie ihn zu einer
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