Der Fluch der Druidin
stattdessen presste sich ein runder Tonrand gegen ihre Lippen. Ein vertrauter Geruch kitzelte ihre Nase, beinahe schon eine verräterisch verheißungsvolle Begrüßung. Krampfhaft schluckte Sumelis die diesmal ungesüßte, widerlich schmeckende Flüssigkeit hinunter, trotzdem quoll der Trank aus ihrem Mund, rann über ihr Kinn und von dort auf Brüste und Bauch.
»Lasst sie!«, winkte Rascil ab, als sie sich losriss. »Es sollte reichen. Dieser Trank hat eine andere Zusammensetzung.«
»Wie lange werden wir warten müssen, bis er wirkt?«
»Nicht lange.«
Sumelis lag auf dem Boden, die Finger in die ausgedörrten Grashalme gekrallt. Wieso hatte sie geschluckt? Sie hätte sich mehr zur Wehr setzen können, sie hätte ihnen den Trank ins Gesicht spucken sollen!
Es machte keinen Unterschied. Es würde nicht funktionieren. Sie konnten sie nicht zwingen, und sie selbst konnte sich auch nicht zwingen. Sie konnte ihre Gabe nicht zwingen. Sie beherrschte sie nicht! Sumelis wusste nicht, ob sie weinen oder kichern sollte.
Zeit verstrich. Sumelis lag noch immer auf der Erde, auf dem Gras, das sich in Wellen unter ihr zu bewegen schien. Sie hörte Schritte, Gemurmel, Bewegungen, konnte sie sogar zuordnen: Boiorix, der den Gefangenen an einen Baum fesselte, ihn knebelte, damit er keinen Laut von sich gab und den Atem hektisch durch die Nase einsaugen musste. Sie presste die Hände zum Schutz gegen die Sonne vor die Lider, doch die Strahlen kamen dennoch durch, goldene Bänder, die sich um sie wanden wie Efeu. Sumelis kannte das alles schon, wartete ergeben auf Schlaf und lauernde Träume, obwohl sie überhaupt nicht müde war. Getragen von buntscheckigen Bilderwolken trieb sie über die Lichtung, zwischen den Bäumen hindurch, ein luftleichter Körper, gebadet in Staub und trockenem Gras.
»Versuchen wir es«, hörte sie eine begierige Stimme, Rascil, sagen. Kurz darauf wurde sie hochgezerrt, hinüber zu dem Gefangenen, der ihr mit schreckgeweiteten Augen entgegensah. Boiorix schleuderte sie zu Boden, so dass sie gegen den Jungen prallte und sich an seiner Brust abstützen musste. Sein säuerlicher Schweißgeruch traf sie wie ein weiterer Schlag.
»Und jetzt«, befahl Boiorix leise, »machst du ihm Angst!«
Sumelis widersetzte sich. Sie murmelte Widerspruch, ohne zu wissen, ob ihre Worte einen Sinn ergaben. Durch die wirbelnden Farben in ihrem Kopf erahnte sie die Seele des Mannes vor sich, und sie wusste nur, sie wollte sie nicht dunkel färben, schwarz und klebrig wie geronnenes Blut. Das war es doch, was Boiorix von ihr verlangte, nicht wahr? Aber sie würde es nicht tun, niemals …
»Wenn du es nicht tust, Sumelis, werde ich Nando holen, und dann wirst du zusehen, wie Nando diesen Mann foltert. Möchtest du das? Willst du zuschauen, wie Nando ihm glühendes Eisen ans Gesicht hält? Wie er seine Fingernägel herausreißt, ihm die Zehen bricht? Wie Nando seinen Kopf in einen Eimer mit Wasser hält, bis er zu ertrinken glaubt?«
Die Zukunft, die Boiorix beschrieb, schälte sich aus dem Strudel aus bunten Wirbeln, ähnlich den aus den Mündern zeitloser Legenden gleitenden Gespenstern. Scharf gezeichnete Taten, Wirklichkeiten, so mächtig wie der sich aufbäumende Gedanke, der einzige, den Sumelis zu fassen vermochte: Sie würde es nicht ertragen.
Angst. Darum ging es, nicht wahr? Sumelis hatte Angst. Sie wollte nicht zusehen, wie Nando so etwas tat!
Etwas zuckte unter ihren Fingern. Ein Schrei, gedämpft von speichelnassen Tüchern in einem geknebelten Mund. Ihr Schrei. Ihre Angst, seine Angst. Sie brach aus Sumelis heraus als ein Sturm, rasend, durch ihre Finger hindurch, unaufhaltbar überflutete sie alle Wälle, Grenzen und Farben. Ein Knie stieß gegen Sumelis’ Stirn, während Rascil sich herabbeugte und den Knebel aus dem Mund des Gefangenen riss. Ein Brüllen folgte, gemischt mit panischem Gebrabbel, von dem Sumelis nichts verstand. Wer war dieser Mann, dessen Furcht sich mit ihrer vermischte? Wieso weinte er? Sollte sie nicht allein ihre eigene Stimme hören, die ihre Angst um Nando den Göttern entgegenschrie?
Nando, der den Jungen folterte. Nandos Hände auf ihrem Körper, seine Lippen auf ihren. Ein Eimer, gefüllt mit Wasser. Hände, in Haare gekrallt, die einen Kopf hineintauchten. Ihre Finger in Nandos Hand, eine glühende Zange, und Nando, der sie bat, sich abzuwenden, nicht hinzublicken, wie seine Seele in eisiger Asche zerfiel.
Dann Stille. Erschöpfung. Was vorher eine Flut gewesen war,
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