Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
Vom Netzwerk:
Damals hatte er ebenfalls seine Faust erhoben, um ein Mädchen zu schlagen, damals hatte er ebenfalls verstanden, weshalb sie weinte. Damals hatte er zum ersten Mal erfahren, was es hieß, ein Mann zu sein.
    Ein anderer Mann.
    Der Wagen, unter dessen Dach sich seine Eltern mit leisen Stimmen unterhalten. Das Geschrei seiner kleinen Schwester draußen im Staub neben den Ochsen, das die Tiere nervös werden und an ihrem Geschirr zerren lässt. Sein Vater, der ihm befiehlt, seine Schwester zum Schweigen zu bringen. »Ich muss mich mit deiner Mutter unterhalten. Sag ihr, dass sie sich nicht so aufführen soll. Sie ist kein Baby mehr! Ihr Geschrei macht die Tiere unruhig. Sag ihr, ich komme gleich zu ihr.«
    Also springt Nando vom Wagen. Seine Schwester steht mit vor Trotz verzerrtem Gesicht vor der kleinen Ziege, die sie heute weggeben werden. Sie will nicht, dass die Ziege geht. Sie war bei ihrer Geburt dabei. Sie will die Ziege behalten.
    »Sei leise!«, befiehlt Nando seiner Schwester. Seine Stimme ist noch kindlich, aber er ist trotzdem der große Bruder. Das Mädchen muss tun, was er sagt. »Vater sagt, du sollst still sein! Er kommt gleich, und wenn du dich dann noch so aufführst, gibt es Ärger!«
    Doch seine Schwester schreit einfach weiter. »Du hast mir gar nichts zu sagen!«, kreischt sie und schlägt mit ihren kleinen Fäusten nach ihm. Nando fängt ihre Hände ab. »Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!«
    »Ich will nicht! Ich will –«
    »Ich will, ich will!«, ahmt er ihre weinerliche Stimme nach. »Kannst du eigentlich auch etwas anderes sagen?«
    »Lass mich in Ruh! Ich will nichts mit dir zu tun haben! Ihr seid alle gemein!« Ihre schrille Stimme wird immer lauter, ebenso die seine.
    »Du bist eine Schande für unsere Familie! Du führst dich auf wie ein Kleinkind!«
    »Nein! Ich will nur meine Ziege! Sie gehört mir! Es ist nicht gerecht, sie wegzugeben!«
    »Du bist noch viel zu klein, um zu wissen, was gerecht ist und was nicht!«
    »Und du zu dumm!«
    »Pass auf, was du sagst!«
    »Wieso? Das haben die anderen Jungs auch gesagt! Die können dich nicht leiden. Und ich hasse dich auch!«
    »Halt endlich den Mund!«, brüllt er, dann, als sie nicht auf ihn hört und immer weiterschreit, schlägt er sie. Er schlägt sie so, dass sie zu Boden stürzt, dann bückt er sich und schlägt sie nochmals auf den Hinterkopf. Ihre Schreie verstummen. Doch die Tränen laufen in Sturzbächen über ihre Wangen, und in ihren Augen ist ein Ausdruck, der Nando in Schrecken versetzt. Seine Hände beginnen zu zittern. »Ich hatte gesagt …«
    Eine starke Hand reißt ihn herum. Eine große Hand, die ihn früher hochgehoben und in die Luft geworfen, mit ihm gespielt hat. Doch jetzt nicht. Noch niemals zuvor hat Nando eine solch wutentbrannte Kraft im Griff seines Vaters erlebt, und er weiß, dass ihn die Tracht Prügel seines Lebens erwartet.
    »Du schlägst deine Schwester? Was für ein Mann willst du werden?« Eine Stimme, die auf Schlachtfeldern Männern Befehle gibt. Eine Stimme, in der Nando niemals zuvor eine solche Abscheu gehört hat. »Ein Mann, der Schwächere schlägt? Frauen?« Sein Vater zwingt ihn, seine schluchzende kleine Schwester anzusehen, den Abdruck seiner Hand auf ihrer Wange zu bemerken. »Sie ist deine Familie! Es ist deine Aufgabe, sie zu beschützen! Was habe ich dich gelehrt?«
    Was habe ich dich gelehrt?
    Sein König hatte ihm einst dieselbe Frage gestellt, und es hatte nur eine leichte Bewegung der Arme gebraucht, um sie zu beantworten. Sie hatten beide gewusst, wer Nando war und worin seine Fähigkeiten bestanden; es hatte keiner Worte bedurft. Und trotzdem konnte er sich noch genau an jede Kleinigkeit im Gesicht seiner Schwester erinnern, an jede Träne, jeden zitternden Mundwinkel, jedes Haar, das an ihrer Stirn geklebt hatte.
    Sie war nie wieder frech zu ihm gewesen. Sie hatte auch nie wieder über ihn gelacht. Und was immer er tat, er hatte nie wieder ein Strahlen in ihre Augen gezaubert. Nur Vorsicht.
    Sumelis wusste nicht, was Nando innehalten ließ. Sie sah nur seine Faust, die über ihrem Kopf schwebte, angehalten in der Zeit, und dahinter sein schweißüberströmtes, bleiches Gesicht. Einen Moment lang schloss er die Augen, dann richtete er sich mühsam auf. Sie sah seinen Rücken, sah, wo das Blut den Stoff seines Hemdes dunkler färbte, roch den süßlichen Geruch, der die erdige Waldluft schwängerte.
    »Steh auf!«, befahl Nando heiser. »Wir kehren zum Lager

Weitere Kostenlose Bücher