Der Fluch der Finca
ist reizend, wirklich.
Was? Ach, nun hör aber auf. Ich bin doch erst seit achtzehn Monaten Witwe, du verrücktes
Huhn.“
Michelle ging noch ein wenig auf Juanitas Neckereien ein. Je besser die Grundstimmung
war, desto weniger Verdacht würde Juanita schöpfen.
„Was ich dich fragen wollte, Süße: Weißt du ein paar gute Nachtclubs auf der Insel?
Was? Nein, ich bin nicht unter die Partymäuse gegangen, obwohl: Wer weiß? Nein es
ist nur so: Ich schlafe nachts einfach schlecht in der fremden Umgebung und tagsüber
bin ich dann immer total erschlagen. Da dachte ich mir, ich kann mir die Nächte ja auch
lustiger gestalten, als mich im Bett zu wälzen, verstehst du?“
Michelles Plan ging auf. Mit der Frage nach ein paar guten Nachtclubs hatte sie bei
Juanita genau die richtige Saite angeschlagen. Die nächsten Minuten kam sie gar nicht
mehr zu Wort. Juanita zählte ihr an die zwei Dutzend angesagte Locations auf der Insel
auf, aber für eine nahm sie sich besonders viel Zeit.
Es war der exklusive Nachtclub eines Bekannten der Familie in Palma. Der Name des
Clubs lautete „El sol de la noche“.
Für Michelle klang das nach dem perfekten Zufluchtsort. Die Sonne der Nacht. Wenn
etwas sie momentan beruhigte, dann war es die Sonne. Wo Sonne war, gab es keinen
Spuk. Eine Sonne hätte sie auch in der vergangenen Nacht gern gehabt. Eine, die sie
nach Belieben ein und ausschalten konnte.
Es war deshalb gar keine Frage, welchen der angepriesenen Clubs Michelle zuerst ausprobieren
wollte.
„El sol de la noche“ gehörte einem gewissen Jake Thorn, der früher einmal geschäftlich
mit Juanitas Vater zu tun gehabt hatte, als dieser neu auf der Insel war und noch kaum
Kontakte vorweisen konnte. Juanita erzählte, dass Thorn ihrem Vater damals so
manche Tür geöffnet hatte, sich der Kontakt aus ihr unbekannten Gründen in den letzten
drei Jahren allerdings stark abgekühlt hatte. Innerhalb der Familie wurde das auch
nie thematisiert, was aber ohnehin für alles Geschäftliche galt. Juanitas Vater pflegte
Privatleben und das Geschäft konsequent zu trennen.
Juanita selbst war mit einigen spanischen Freundinnen aber regelmäßig in Thorns
Etablissement, wenn sie auf der Insel weilte. Thorn sei ein charismatischer Lebemann,
der alle möglichen und unmöglichen Leute kenne. Sein Club jedenfalls sei ein absoluter
Insider-Tipp auf der Insel.
Michelle ließ sich die Adresse geben und musste versprechen, Juanita genauestens
Bericht zu erstatten, wie es dir dort gefallen hatte, wenn sie wieder zurück war.
Nachdem sie aufgelegt hatte, bestellte sie über ihr Handy ein Taxi für achtzehn Uhr. Um
diese Zeit machte es zwar noch keinen Sinn, in einen Nachtclub zu fahren, aber es war
vor Sonnenuntergang, was für Michelle am wichtigsten war. Sie würde die Zeit in Palma
schon irgendwie totschlagen. Sie konnte dort ein ausgedehntes Abendbrot zu sich
nehmen, ein wenig bummeln gehen und noch tausend andere Dinge tun, bevor sie sich
gegen zehn Uhr abends aufmachen würde, um mit dem Taxi ins „El sol de la noche“ zu
fahren. Vier Stunden waren keine lange Zeit, wenn man sich in einer so wunderschönen
Stadt wie Palma aufhielt und es noch viel zu entdecken gab.
Nachdem auch das erledigt war, beschloss Michelle, für die Nacht vorzuschlafen. Der
Plan war ohnehin, die nächste Zeit tagsüber zu schlafen und die Nächte außerhalb der
Finca zu verbringen. Sollte das Haus doch Amok laufen, wenn sie nicht hier war. Tagsüber
konnte es ihr nichts anhaben. Trotzdem schloss sie die Schlafzimmertür ab und
ließ die Vorhänge vor dem Fenster offen, um im hellen Sonnenlicht zu schlafen. Dunkelheit
hatte seit letzter Nacht etwas Bedrohliches für sie und das würde auch noch eine
ganze Weile so bleiben.
Das Einschlafen fiel ihr leichter, als sie erwartet hatte und als der Wecker um fünf Uhr
nachmittags klingelte, fühlte sie sich erholt und bereit für die nächsten Stunden.
Nachdem sie sich geduscht und zurechtgemacht hatte, hörte sie fünf Minuten vor der
ausgemachten Zeit das Taxi vorfahren.
Sie griff sich ihre Handtasche und eine dünne Strickjacke für die kühleren Abendstunden
und verließ das Haus. Sie drehte sich noch einmal um und warf einen langen Blick
auf das der Auffahrt zugewandte Küchenfenster, vor dem gestern dieser unheimliche
Schatten zum ersten Mal aufgetaucht war. Die Erinnerung wirkte jetzt fast schon unwirklich,
aber Michelle ließ sich nicht täuschen. In wenigen Stunden würde
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