Der Fluch der grünen Steine
will ›vor Ort‹, wie man bei uns sagt. An die vorderste Front dieses Leides, das keiner kennt, keiner wahrhaben will, jeder verschweigt. Man kann einen Sumpf nur trockenlegen, wenn man ihn kennt. Eine Landkarte allein genügt nicht.«
»Margarita ist kein Blümchen, das am Wege wächst und man sich einfach ins Knopfloch stecken kann.«
»Ihre Belehrung, Beichtvater, war unnötig.«
»Die Eltern haben Angst. Eine Tochter haben sie schon verloren.«
»Das wußte ich nicht. Aber eine Schwester von Margarita …«
»Um die handelt es sich.« Pater Cristobal lehnte sich gegen das Packmuli. »Für Alfonso und Maria Dolores ist sie tot. Perdita – so heißt das Mädchen – arbeitet seit einem Jahr bei Señora Mercedes in der ›Bar‹. Sie hatte das furchtbare Leben in den Bergen, in der Hütte und den Höhlen satt. ›Mamá‹ bot ihr einen guten Vertrag als Serviererin mit 5 % Anteil am Verzehr.«
»Das ist mies! In St. Pauli bekommen sie 10 %.«
»Für Penasblancas ist das ein Traumvertrag! Denn: Was nach der Arbeitszeit passiert, ist absolute Privatsache. Bis auf eine Kleinigkeit: 25 % kassiert ›Mamá‹.« Pater Cristobal räusperte sich. »Für die Mädchen bedeutet das trotzdem viel Geld! Ihre Stundendienste lassen die Pesos regnen. Perdita kann in zwei Jahren reich sein, aber sie wird nie mehr eine Ehre haben. Für ihre Familie ist sie tot. Nur noch Margarita hält zu ihr. Als sie im Gefängnis saß – bei ihrer Ankunft –, wollte sie gerade heimlich Perdita besuchen. Adolfo Pebas hat später getobt.«
»Woher weißt du das alles?«
»Sie haben es mir erzählt. Ich habe ihnen die Beichte abgenommen.«
»Auf dem Marktplatz?«
»Gott ist überall.«
»Ich weiß. Ihr Priester könnt hemmungslos sein.«
»Deshalb werde ich auch Perdita aus dem Haus von ›Mamá‹ herausholen!« Pater Cristobal strich sich seinen struppigen Bart. »Ich habe herausgefunden, daß sie auf der gleichen Etage wie ich wohnt und ›arbeitet‹.«
»Mein Gott!«
»Was rufst du, mein Sohn?«
»Du willst bei ›Mamá‹ wohnen bleiben?!«
»Ich habe nie an etwas anderes gedacht. Es ist der beste Platz für mich!« Cristobal Montero packte die beiden Mulis an den Zügeln und führte sie aus der ›Kirche‹. Dr. Mohr folgte ihm, ging zu seinem Jeep und begann die Gepäckstücke auszuladen.
»Du willst es mit ›Mamá‹ aufnehmen? Krieg von Etage zu Etage? Du wirst verlieren, Cris.«
»Solange sie den Gottesdienst besucht …«
»Sie wird vor dir knien und voller Dankbarkeit eine Hostie aus deiner Hand nehmen, an der Ecke allerdings wartet der von ihr bezahlte Mörder. Du vergibst ihr im voraus die Sünde, dich umzubringen.«
»Das ist Christentum.«
»Da passe ich!«
Sie beluden das Muli und verteilten die Last so, daß das Tier nicht überladen wurde. Seinen Medizinkoffer und die geheimnisvolle Aktentasche, das Geschenk von Alfonso Camargo, lud Dr. Mohr auf sein Reittier. Dann gab Pater Cristobal ihm stumm die Hand, zog ihn plötzlich an sich und küßte ihn auf beide Wangen.
»Gott mit dir!« sagte er mit belegter Stimme. »Wir sehen uns bald wieder.«
»Überleg es dir, Cris. Die Menschen hier in der Stadt brauchen dich auch.«
»Wenn auf 30.000 Guaqueros ein Arzt kommt, kann es auch ein Priester schaffen! Wir werden schuften müssen, Pete.«
»Es wird sich lohnen, Cris.« Dr. Mohr kletterte auf sein Reitmuli. »Nimm dich in acht vor Mercedes Ordaz. ›Mamá‹ ist gefährlicher als Revaila. Übrigens: Ich habe Christus mit Leukoplast gefesselt – Himmel, wie das klingt! – Er liegt in seinem Haus auf der Erde. Ich habe ihm versprochen, daß du in zwei Stunden kommst und ihn auswickelst.«
»Er kann bis zum Abend warten. Etwas Ruhe und Besinnung tun ihm gut.«
»Ich habe in ihm einen neuen Todfeind.«
»Siehst du, jetzt sind wir wieder gleich: Du hast deinen Revaila, ich meine Mercedes Ordaz. Pete, noch einmal: Gott mit dir! Paß auf dich auf.«
»Und du auf dich.«
Dr. Mohr trieb sein Muli an. Es trabte los, das Packtier an einem Strick hinterherziehend. Als der Doktor sich umblickte, sah er gerade noch, wie Pater Cristobal den Jeep in die Kirche fuhr. Er ist von einer beneidenswerten Gläubigkeit, dachte er. Für ihn ist Gottes Haus immer noch der sicherste Platz. Ein Glück, daß ich ihm im Jeep eine Maschinenpistole mit vier Reservemagazinen zurückgelassen habe.
Auf dem Marktplatz wartete noch die Familie Pebas. Adolfo half Maria Dolores in den Sattel, als er Dr. Mohr von weitem anreiten
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