Der Fluch der Hebamme
Jahren des Verzichts und der Trauer um ihren Geliebten alle Vorsicht aufzugeben und noch einmal ihr Herz für einen Mann zu öffnen.
Doch ob es nun geschehen würde oder nicht – um ihre Zukunft war ihr nun nicht mehr bange. Desto mehr um die Zukunft der Mark Meißen und all jener, die treu zu ihr und ihrem Gemahl gestanden hatten.
Februar 1190 in Konstantinopel
T homas’ unbedachter Wunsch, Konstantinopel zu sehen, sollte sich tatsächlich erfüllen.
Kaiser Isaak war zu der Einsicht gekommen, der Staufer könnte Ernst machen und die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches erobern. Als auch noch die Serben dem Wallfahrerheer sechzigtausend Mann an Hilfstruppen angeboten hatten und Friedrich über seinen Sohn schon eine Flotte von den italienischen Hafenstädten angefordert hatte, um von Seeseite aus anzugreifen, stimmte Isaak Angelos endlich den Bedingungen für einen Friedensschluss zu.
Nun stand Thomas in der Hagia Sophia, gemeinsam mit den ranghöchsten Gefolgsleuten Friedrichs von Staufen, und sollte als einer von fünfhundert Rittern den Friedensvertrag zwischen beiden Kaisern – dem weströmischen und dem oströmischen – bezeugen.
Genauer betrachtet war es weniger ein Friedensvertrag als die widerspruchslose Anerkennung sämtlicher Forderungen, die der erzürnte Friedrich von Staufen an Isaak Angelos stellte.
Doch noch hallten feierliche Gesänge durch das riesige Gotteshaus und läuteten ununterbrochen Glocken – eine Besonderheit der oströmischen Gottesdienste, wie der junge Benediktiner Thomas auf dem Weg hierher erzählt hatte.
Bei der Morgenmesse hatte Bischof Martin die versammelten Meißner und Weißenfelser mit unübersehbarer Verachtung darauf hingewiesen, welchen Irrtümern die byzantinische Kirche anhing, und sich dabei immer mehr ereifert. »Sie glauben nicht an die Heilige Dreifaltigkeit, ihre Priester geloben nicht Keuschheit, sondern leben in Sünde mit Weibern, und sie feiern nicht die Messe mit der gebotenen Ehrfurcht. Den Heiligen Vater in Rom wollen sie nicht anerkennen, sondern nur ihre Patriarchen von Konstantinopel, Jerusalem und Antiochia. Und bei all solcher Gotteslästerung meinen sie noch, einzig
sie
seien vom rechten Glauben erfüllt. Lasst euch nicht blenden durch das, was ihr sehen werdet, denn der einzige wahre Glaube ist unser!«
Doch diese Warnung hatte bei Thomas nicht die gewünschte Wirkung hinterlassen.
Er
war
beeindruckt, sogar geblendet von der Größe und Pracht der Hagia Sophia. Wie konnte man das nicht sein angesichts der Erhabenheit dieser Kirche? Sie war größer als jedes Bauwerk, das er je gesehen hatte, sie schien sich bis zum Himmel zu erstrecken und nur von Gotteshand zusammengehalten zu werden. Denn das größte von all den Wundern der Hagia Sophia war die riesige Kuppel, die in unglaublicher Höhe über dem prachtvollen Raum schwebte und nur von einem Kranz aus gleißendem Licht gehalten schien.
Ein Teil seines Verstandes sagte ihm, dass dieser Lichtkranz aus dicht nebeneinanderstehenden Fenstern bestand, durch die
die Sonnenstrahlen fluteten. Doch wie konnte solch eine gewaltige Kuppel so hoch oben Halt finden, wenn nicht durch Gottes
Hilfe?
Es war, als schaute man ins Himmelsgewölbe, und Christus blickte auf die Staunenden herab. Das würde Philipp gefallen, dachte er.
Marmorne Säulen und Fußböden, mit goldenen und silbernen Mosaiksteinen geschaffene Verzierungen, die durch das Licht aus weiteren Fenstern zum Funkeln gebracht wurden – all diese Pracht ließ Thomas in einem Traum versinken. Das ganze Gotteshaus schien mit Licht erfüllt, ja von innen heraus zu leuchten.
Es kam ihm einfach unmöglich vor, dass solch ein Wunderwerk ohne göttliches Zutun und göttlichen Segen erschaffen worden sein könnte, noch dazu schon vor Hunderten von Jahren.
Wenn Gott dieses Wunderwerk zusammenhält, segnet er damit nicht auch die oströmische Kirche, den Glauben der Byzantiner?, fragte sich Thomas zweifelnd, während er den Blick nicht abwenden konnte von so viel Schönheit, von Heiligendarstellungen in den strahlendsten Farben und jenem geheimnisvollen Leuchten, das das Innere der Basilika durchfloss.
Obwohl der Bischof sagt, unser Glauben sei der einzig wahre?
Weshalb sollte Gott jemanden so eindeutig seiner Gnade würdigen, wie er es mit der Hagia Sophia tat, der dem falschen Glauben anhing?
Die Byzantiner hielten ihren Glauben für den einzig wahren, ebenso, wie die Juden es mit ihrem taten. Und irgendjemand hatte ihm erzählt,
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