Der Fluch der Hebamme
Männer einmischen!«, entrüstete sich Sophia. »Das ist … unglaublich! Schamlos und vermessen!«
Nun konnte Hedwig ein Lächeln nicht unterdrücken. »Nein, das ist klug, und es ist notwendig. Viel Leid ist dem Land und seinen Menschen dadurch erspart geblieben, dass ich auf meinen Gemahl – Gott sei seiner Seele gnädig! – einwirken konnte. Ihr habt offenbar nicht die Möglichkeit dazu. Doch langsam beginne ich, mir ernsthaft Sorgen um Euer Wohlergehen zu machen. Also behaltet meinen Vorschlag in Erinnerung. Und wenn Ihr meint, dass es für Euch und Eure Tochter besser wäre, würde ich gern meine Enkelin mit nach Seußlitz nehmen und für sie sorgen.«
Dieser Vorschlag kam völlig überraschend für Sophia. Sie begriff, dass sie sich schnell entscheiden musste. Albrecht würde keine Einwände erheben – er interessierte sich nicht für seine Tochter, er wollte einen Sohn.
Und sie? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, schaffte sie es nicht, innige Gefühle für ihre Tochter zu entwickeln, weil deren Anblick sie ständig an ihre schlimmste Niederlage erinnerte: keinen Sohn geboren zu haben.
Früher oder später würde Albrecht seinen Zorn auch an der kleinen Christina auslassen. In Seußlitz war sie sicher vor den gewalttätigen Ausbrüchen ihres Vaters und gut behütet. Denn das musste sie ihrer Schwiegermutter lassen: Zu niemandem fühlte sich die Kleine so hingezogen wie zu ihrer Großmutter, nicht einmal zu ihrer Amme.
Gegen Mittag des gleichen Tages brach Hedwig mit ihrem Gefolge auf, um in Seußlitz ihren Witwensitz zu nehmen. Ihre vierjährige Enkeltochter begleitete sie, höchst verzückt darüber, mit der Großmutter reisen zu dürfen, die so spannende Geschichten von ihren Vorfahren zu berichten wusste.
Der feiste Giselbert war angewiesen, die Fürstinnenwitwe zu begleiten und dafür zu sorgen, dass sie in Seußlitz keine Mitverschwörer fand, um etwas gegen ihren Sohn zu unternehmen. Die halbe Burgmannschaft war ausgewechselt und durch Leute ersetzt, die sich auf keinen Fall Elmars Gunst verscherzen wollten, ebenso die Dienerschaft.
So fiel der Empfang für die Mutter des neuen Markgrafen überaus höflich, doch recht kühl aus.
Umso mehr war Hedwig überrascht, als sich der Burgkommandant bei ihr melden ließ, kaum dass die die Kemenate betreten hatte. Wahrscheinlich wollte er ihr die Vorschriften aufzählen, die ihr Sohn für ihren Aufenthalt übermittelt hatte, und sich im besten Fall dafür entschuldigen.
Sie hatte den Mann schon bei ihrer Ankunft mit einem Blick erfasst: etwa in ihrem Alter, mit dunklen Haaren, das an den Schläfen grau zu werden begann, von schlanker Gestalt. Nur an seine Augenfarbe konnte sie sich nicht erinnern; es war zu viel Durcheinander auf dem Burghof gewesen, als dass sie mehr als einen kurzen Gruß wechseln konnten, und als er ihr den Willkommenspokal überreichte, war sie durch ihre Enkelin abgelenkt.
Auf ihr »Herein!« trat er ein und sank drei Schritte vor ihr auf ein Knie.
»Durchlaucht, ich wollte mich erkundigen, ob Ihr hier alles zu Eurer Zufriedenheit vorfindet oder ob ich noch etwas veranlassen kann, damit Ihr Euch wohl fühlt.«
Diese Worte klangen nicht wie die eines Kerkermeisters, aber auch nicht unterwürfig oder einschmeichelnd – so, als sei ihm wirklich an ihrem Wohlbefinden gelegen.
»Habt Ihr Euch diesbezüglich nicht nach den … Wünschen meines Sohnes, des Markgrafen, zu richten?«, fragte sie leicht spöttisch mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich frage nach
Euren
Wünschen«, beharrte er unerwartet freundlich, und er sah sie dabei auf eine Art und Weise an, wie lange kein Mann mehr sie angesehen hatte. Der letzte – und vielleicht einzige – war Dietrich von Landsberg gewesen, ihr Schwager. Er hatte sie aus ganzem Herzen begehrt; ihre heimliche, innige Liebschaft hatte sie in einen Abgrund von Verzweiflung, Begehren und verbotenem Glück gerissen. Und als er vor fünf Jahren starb, da starb mit ihm auch in Hedwig die Hoffnung, noch einmal solche Innigkeit zu erleben, um ihrer selbst willen so geliebt zu werden.
Seine Augen sind braun, dachte Hedwig beim Anblick des Burgkommandanten. Und er hatte sich unverkennbar in sie verliebt. Sie konnte nicht wissen, ob er es jemals wagen würde, auch nur mit einer Andeutung die unsichtbare Grenze zu überschreiten, die eine solche Annäherung zwischen einer Fürstin und einem ihrer Untergebenen verbot. Genauso wenig vermochte sie zu sagen, ob sie bereit war, nach all den
Weitere Kostenlose Bücher